Wenn Menschen anderer Kulturen oder Wesen eines anderen
Sternes unsere Gotteshäuser sehen,
müssen sie sich fragen, was machen die da,
sie verehren einen Menschen am Kreuz, einen Menschen der tiefes Leiden
durchmacht, was ist das für ein Kult?
Im Judentum kennen wir die Gestalt des Hiobs, der mit seinem
Gott hadert und andere Religionen haben sicher auch Archetypen die den Menschen in seinem Schmerz
darstellen, so ausgeprägt wie im Christentum kenne ich keine andere Kultur, die
den leidenden Menschen zur Kultfigur erhebt.
Manche mögen denken, dass frühere Jahrhunderte so hart
gewesen sein mögen, Menschen soviel Leid über andere Menschen gebracht haben, dass der leidende
Mensch in den Mittelpunkt der Verehrung gestellt wurde, als vor 2000 Jahren das
Christentum entstand. Ist uns diese
Leidensfigur so fremd geworden, dass wir nichts mehr mit ihr anfangen können?
Christus als Archetyp des leidenden Menschen ist uns nicht
fern. Jeder, der Leid erfährt, macht ein
ähnliches Erlebnis durch. Auf der ganzen
Welt erleben wir Kriege, viele ältere von uns haben noch selbst die
Auswirkungen des Kriegs erfahren, Leid, Hunger, Tod. Ein geliebter Mensch stirbt, - wir erleben
die Trauer über den Verlust, Wirtschaftskrisen
vernichten Existenzen, Naturkatastrophen
brechen über den Menschen zusammen, der
Mensch geht durch unermessliches Leid. Menschen tun einander die schrecklichsten
Dinge an, - ich denke an die Menschen,
die durch die Tore der Vernichtungslager
getrieben wurden, und das alles fand in
unserem Leben statt, welches Leid nur in
dieser kurzen Spanne.
Und dann dieses Bild des Menschen am Kreuz, der Archetyp des leidenden Menschen, und seine Worte, „Mein Gott, warum hast Du
mich verlassen?“ Hat nicht Hiob diese
Frage gestellt, haben sich nicht Millionen
von Menschen unserer Generation diese Frage gestellt, - was habe ich getan, dass ich dieses Leid
erfahren muss? Hat mich denn mein Gott
ganz verlassen? Endet es mit diesem Bild des Leides und Schmerzes , - was kommt nach dem Schmerz, was passiert am
Ende unseres Weges, am Ende der Leiden? Haben Schmerzen einen Sinn und
eine Bedeutung für unseren Weg?
Ist es so einfach wie es die Buddhisten sehen : „Kein Denken, Kein
Leid.“ Oder hat das Leid einen tieferen Sinn?
Für mich ist Leid eine tief menschliche Eigenschaft, Leid zu erfahren, zu ertragen und mit Leid umzugehen ist Teil unserer physischen Existenz. - Wunderbar das Bild der Frauen, die neben dem am
Kreuz leidenden Menschen stehen und voller Empathie Trost zu geben suchen, der
nicht leidende Mensch nimmt teil am Leid. Auf
der Ebene der Herzen wird das Leid
geteilt. Wie viele Menschen vor uns, und wenn wir an die Wiedergeburt
glauben, wie viel Leid haben wir schon
selber durchlitten? Ich denke an die
Folterlager der politischen Systeme, die Kammern der Inquisition, die
Hexenprozesse, aber auch die Kriege, und
der Tod in den Familien. Wir sind mit der Fähigkeit zum Leiden ausgestattet,
aber auch mit der Fähigkeit das Leiden zu überwinden, am Leiden anderer mit unserer Empathie teilzunehmen und in der Überwindung des Leides den Frieden in uns zu
finden.
Das eigentliche Erlebnis, das Karfreitag so wichtig für mich
macht, sind die letzten Worte, die Christus vor seinem Tod spricht. „Nicht mein
Wille, Dein Wille geschehe“ In diesem Augenblick hadert er nicht mehr mit
seinem Schicksal, mit seinem Gott, er
ergibt sich in sein Schicksal, er nimmt seinen Weg an, er geht durch das Tor des inneren Friedens und macht
auf diesem Weg Frieden mit seinem Leben und Frieden mit Gott. Es ist
der Moment, in dem sich der Blick von der physischen Existenz auf das innere
Sein richtet, nicht der gequälte Körper
zählt mehr, hinter dem Körper scheint das auf, was unsere physische Existenz
ermöglicht, scheint das auf, was wir nicht mehr in Worte fassen können, unser eigentliches
Sein, unsere göttliche Existenz. Erst
wenn wir durch dieses Tor zu unserem inneren
Frieden gehen,
tritt das ein, was wir bei Sterbenden sehen oder von Menschen berichtet wird
die auf dem Weg in die Vernichtung
waren, wir erleben den Frieden
Gottes in uns , der höher ist als unsere
Vernunft. Wenn ich den
Schmerzensmann am Kreuz sehe, dann sehe
ich nicht nur die geschundene Kreatur,
ich sehe das Kreuz als Tor zu dem was uns ausmacht, als Weg zu uns selbst, zu unserem eigentlichen Sein. Diese Fähigkeit, unseren Weg anzunehmen und
auch in dunklen Stunden das Licht sehen zu können ist jedem von uns
gegeben, auch in tiefster Verzweiflung
und Trauer erfahren wir, dass Trost und Friede gleich neben Leid und
Sterben liegen. Im Karfreitagserlebnis wird
das Kreuz zum Symbol des inneren
Wandels, physische Existenz wird zu
geistigem Sein.