Sonntag, 30. August 2020

Meinen Verstand verlieren

Wenn mich ein Gedanke umtreibt, dann stosse ich wie durch Zufall, immer wieder auf Ergänzendes, das mir zufällt. Heute stiess ich auf einen Artikel in der NZZ über Kierkegaard, den grossen dänischen Philosophen. Wieder geht es um den Menschen, der hinausgeht in die Welt und an irgendeinem Punkt nicht mehr weiterkommt. Es ist dieser grosse Moment im Leben eines Menschen, der Moment des Wandels. Der Mensch ist an der Grenze seiner Vernunft angelangt, wie geht es weiter, wie findet er den richtigen Weg? Es geht um den Weg des Menschen, der hinausführt in die real existierende Welt und den Weg zurück zum Vaterhaus. Ich zitiere: Kierkegaard forderte jeden auf, nicht im Schwarm der Masse mitzuschwimmen. Und sich stattdessen auf die «Existenzinnerlichkeit» zu konzentrieren. Kierkegaard als existenzielles Wesen brauchte Gott, als rettendes Gegenüber. Seine Metapher vom Sprung in den Glauben lautete: Einfach springen, mit Mut zur Angst, zum Nichtwissen, zur Leere. «Glauben heisst den Verstand verlieren, um Gott zu gewinnen.» Es ist dieser Moment im Leben eines Menschen, der Punkt der Wende, den die Religionen Erleuchtung, Erlösung oder Erwachen nennen, den Kierkegaard meint, der Sprung ins Leere, ins Nichtwissen, - der Sprung in das eigene Innere, in die innere Gewissheit. Den Verstand verlieren heisst, das innere Rad der Gedanken zum Stillstand zu bringen und den Raum der Stille in sich zu erfahren, die absolute Leere, das Nichts, aus der Alles ensteht und in die alles vergeht. Der Weg zurück ins Vaterhaus beginnt, wenn der Mensch am Scheideweg steht und sich auf das besinnt, was er in Wirklichkeit ist.

Samstag, 22. August 2020

Mein Leben verlieren

In Zeiten der Pandemie fürchten manche von uns, das Virus könnte sie das Leben kosten. Können wir wirklich das Leben verlieren und kann ein Virus der Grund hierfür sein? Vielleicht finden wir eine Antwort in unserer abendländischen Mythologie des Christentums. Mir kommt das Christuswort in den Sinn - Die Welt gewinnen, das Leben verlieren-. Es lohnt sich, dieses Wort näher anzusehen. Wenn ich jung bin gehe ich voll Vertrauen in die Welt – ich will die Welt erobern. Vertrauen kommt von meinen Eltern, ich vertraue ihnen, sie sind am Anfang meine Welt. Ich strebe die Ziele an, die mir meine Eltern vorgeben, Schule, Ausbildung und Beruf. Wenn ich diese Ziele erreiche, habe ich dann ein erfolgreiches Leben? Wenn ich alle Ziele und alle Reichtümer dieser Welt erlangen würde, wäre dann mein Leben erfolgreich? Oder besteht Gefahr, dass ich auf meinem Weg in und durch die Welt mein Leben verlieren kann? Wir lesen von den grossen Wohltätern der Menschheit, die einen Teil ihres Erfolges und Wohlstands in Stiftungen einbringen, sie wollen der Welt einen Teil dessen zurückgeben, von dem was die Welt und die Gesellschaft ihnen gegeben hat - ist da ein Bewusstsein zu spüren, dass all dieser Erfolg und Reichtum in Kürze für sie verloren sein wird oder die Angst, ihr Leben zu verlieren auf ihrem Weg durch den Erfolg dieser Welt. Das Christuswort über das Lebenverlieren ist so aktuell wie zu allen Zeiten. Das Lebenverlieren heisst sein eigenes inneres Sein zu vergessen, den Zugang zu dem was und wer wir wirklich sind, den Zugang zu unserer Seele. Die Gefahr ist gross, dass Erfolg, Reichtum und Macht mit dem Verlust unseres eigentlichen Lebens verbunden sind. Nicht einmal bei den grossen Philantropen ist es sicher, dass die Wohltaten an die Mitmenschen nicht dem äussern Ansehen dienen, der Eigenliebe und der Selbstdarstellung . Wirklicher Erfolg im Leben ist nur dann vorhanden, wenn mit dem äusseren Erfolg auch der innere Erfolg Schritt hält, wenn mein Weg nach aussen, mit meinem Weg nach innen harmoniert. Dann kann ich die Welt gewinnen und habe mein Leben nicht verloren. Die Pandemie kann mich mein eigentliches Leben nicht kosten, aber der Verlust meines inneren Bewusstseins schneidet die Verbindung zu dem der ich wirklich bin ab. Verloren ist mein Leben deshalb nicht, es ist nur in dieser meiner menschlichen Existenz verloren gegangen.

Sonntag, 16. August 2020

Die Grenzen der Welt

Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. – Auch dieser Satz stammt von Wittgenstein. In der zweiten Phase seines Lebens hat er noch einmal komplett umgedacht und die Sprache mit dem Sinnlichen verbunden, mit dem was unsere Sinne aus Sprache machen. Die Epigonen, die sich nach dem Tod Wittgensteins seiner geistigen Hinterlassenschaft bemächtigt haben, haben uns eine Vielzahl von Deutungen seines Werkes hinterlassen. Für mich ist in Wittgenstein die Evolution eines menschlichen Schicksals erkennbar, der Weg von Welt zur Tiefe des Seins . Wenn ich das Wort Sprache durch Welt ersetze, die Gebundenheit des Menschen an die Sprache und an das Denken, dann verstehe ich die Aussage von W. so, dass unser Denken uns auf die Welt der Sprache beschränkt. Bedenke ich aber sein Leben, - vom reichen Bürgertum, vom Ingenieur zum armen Dorflehrer, zum Professor in Oxford, mehrere Leben in Einem, auch die Hinwendung in die Welt Tolstois, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass er der Welt nicht die Nichtwelt gegenüber gestellt hat. Die Dimension der Tiefe und des Raumes lassen keine Sprachspiele zu, sie sind das Ewige, das Weltüberschreitende in uns. In dieser vielschichtigen Person hat das Transzendentale sicher die gleiche Rolle gespielt, wie die Welt. Für mich stehen den Grenzen der Welt und der Sprache - die nicht in Sprache zu fassende Nichtwelt, die Tiefe und die Leere des Raums als Ausgang von Welt und Sprache gegenüber, als Bedingung und Voraussetzung von dem was wir unter Welt verstehen.

Samstag, 15. August 2020

Das Verstummen meines Bruders

Vor zwei Tagen traf ich mich mit meinem Bruder und seiner Frau. Mein Bruder ist verstummt, er hört kaum noch und spricht nur noch das Nötigste. Ihm, der einer der Sprachgewaltigen seiner Zeit war, der eine ganze Generation von Sprachwissenschaftlern geprägt hat, ist die Sprache durch einen Gehirnschlag genommen worden. , So wie das Leben ihm diese besondere Gabe gegeben hat, bis in die grössten Tiefen der Sprache vorzudringen und die Funktionen der Sprache zu entschlüsseln, den Begründer der heutigen Linguistik, hat das gleiche Leben die Sprache wieder genommen. Er spricht nur noch das Notwendige mit seiner Umgebung, hat sich ganz in sein Innerstes zurückgezogen. Es schmerzt mich, meinen Bruder so zu sehen, wir haben uns immer nahe gestanden, und ich hoffe, dass das Leben ihn durch diese Phase gehen lässt, damit er in der Tiefe seines Seins noch Bereiche entdecken kann, die die Sprache ihm nicht geben konnte. Mich erinnert sein Leben etwas an Wittgenstein, der Sprache in der ersten Phase seines Lebens nur ganz wissenschaftlich betrachtet hat und jede Philosophie über das Leben als unsinnig ansah – und dann im weiteren Leben die Sprache als Sprachspiel erkannte und kritisierte, eine Rückkehr vom Äusseren in das Innere, das uns Menschen mit auf unseren Weg gegeben ist. Vor einigen Jahren sagte mein Bruder zu mir, als wir über sein Werk sprachen, dass alle Wissenschaft bedeutungslos sei, auch sein eigenes Werk, das vom Leben und der Zeit überholt und in die Vergessenheit verschwinden wird. Für mich und wahrscheinlich auch für seine Zeitgenossen ist seine Lebensleistung gigantisch und seine innere und äussere Bescheidenheit ehrt ihn. Ich hoffe ihn noch einige Zeit begleiten zu dürfen.

Sonntag, 9. August 2020

Vergänglichkeit und Ewigkeit

Was mich am meisten beschäftigt und Gegenstand meiner Meditation ist, wie verhält es sich mit dem Raum in mir und in allem. Bei aller Vergänglichkeit von Materie ist für mich die Ewigkeit des Raum gegeben. Hat sich der Raum in mir individualisiert und ist mit dem Ende des Trägers von Raum die Individualisierung aufgehoben und der mir eigene Raum vereinigt sich wieder mit dem ewigen Raum – oder hat sich der Raum entschlossen auch die Evolution durch Wiedermaterialisierung fortzusetzen, wie die Buddhisten meinen . Oder vielleicht das Sowohl als Auch – unser Raum zieht sich zurück in die Gesamtheit, tankt neue Kraft auf und keht zurück in ein neues Leben. Die Unvergänglichkeit des Seins steht für mich fest, weder die Energie der Materie vergeht, sie wandelt nur ihre Erscheinungsform – und die Nichtmaterie, der Raum in mir, der die Materie ordnet und mich zu dem fügt, was ich bin, ist ohnehin nicht Geburt und Tod unterworfen. Jede Nacht im Schlaf kehre ich in den Raum zurück, aus dem ich komme, es ist aus diesem Raum aus dem ich die Kraft für den Tag hole und jeden Abend sterbe ich einen kleinen Tod wenn ich in den Raum zurückkehre, ein ewiger Kreislauf. Bald werde ich mehr wissen. Besser als ich es kann hat Tagore in seinem Gedicht „Am Ende meines Lebens“ seine Sicht der Dinge beschrieben: „Ich habe die See bei Windstille gesehen, wie sie dalag unter der Last ihres unergründlichen Schweigens, und bei Sturm, wie sie rang das Geheimnis ihrer eigenen Tiefe aufzubrechen.“ Werden wir es je schaffen die Tiefe unseres Seins zu erfassen?

Samstag, 8. August 2020

Haben und Wollen

Die Wurzel allen menschlichen Leids hat schon Buddha als das Haben und Wollen erkannt. Es ist die Unfähigkeit den jetzigen Moment zu erkennen, jeden Moment in unserem Leben als den Wichtigsten zu sehen den es für uns gibt. Immer wieder bewegen sich unsere Gedanken weg von diesem Moment und beschäftigen sich schon mit etwas anderen, mit etwas Gewesenem oder mit etwas künftigem und dieser Moment vergeht, ohne dass wir ihn so recht wahrgenommen haben. So kann unser ganzes Leben vergehen, ohne das wir richtig gelebt haben, denn das Leben zeigt sich uns nur in diesem Moment. Nehmen wir diesen Moment nicht wahr, entgeht uns das Leben. Das Wollen und Wünschen ist immer auf die Zukunft gerichtet. Zukunft aber gibt es nicht, Zukunft ist ein Produkt unserer eigenen Phantasie. Was wir als zerstreut bezeichnen ist die Nichtwahrnehmung des jetzigen Momentes, das Abirren unserer Gedanken von dem was wir tun. Wenn wir uns nicht auf das Jetzt konzentrieren, nehmen wir das Leben nicht wahr Auch die Visualisierung der Zukunft findet im Jetzt statt. Wenn ich ein Ziel erreichen will, kann ich es visualisieren. Ich kann dieses Ziel gestalten, indem ich im jetzigen Moment mir dieses Ziel setze. Der Künstler der ein Werk schaffen will , der Architekt, der ein Gebäude entwirft, visualisiert es und im gleichen Augenblick entsteht es in seinem Geist, auch wenn die Ausführung noch Zeit kosten wird. Alles entsteht im Jetzt und nicht in der Zukunft. . Ein anderes Übel ist das Habenwollen. Wir sind nie zufrieden mit dem was uns das Leben bietet, wir wollen es anders oder wir wollen mehr. Das menschliche Zusammenleben wird immer wieder durch dieses Mehrwollen gestört, das gilt in den zwischenmenschliche Beziehungen , aber auch in den kollektiven Wünschen ganzer Völker, die übereinanderherfallen, um das zu besitzen, was der andere hat. Dabei ist die Vergänglichkeit von allem Haben auch dem einfachsten Menschen bekannt, alles wird uns nur geliehen und wird im Moment unseres Todes aufgelöst und zurückgegeben. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis bei den reichen Nationen durch, dass Reichtum auch Verpflichtung ist und sie die anderen Völker teilnehmen lassen müssen an ihrem Wohlstand, wenn sie den Wohlstand nicht verlieren wollen. Das gilt für Völker, das gilt aber auch für den einzelnen Menschen. Es ist der einzige Weg wie wir das Übel des Habens und des Habenwollens überwinden können.

Dienstag, 4. August 2020

Die Lösung von Problemen

In meinem Umfeld sehe ich häufig wie auftauchende Schwierigkeiten zu Problemen gemacht werden. Schon die Herkunft und die Bedeutung des griechischen Wortes – Aufgabe, Schwierigkeit, Lösung – deutet an, das die auftretende Schwierigkeit die Lösung in sich trägt. Wie oft geraten wir im Leben in Situationen, in denen wir vor scheinbar unlösbaren Problemen stehen. Wir geraten in Panik und dann geht gar nichts mehr. Das Leben ist immer mit Widerständen verbunden, aber erst unser Verstand macht diese Widerstände zum Problem. Ich habe eine Arbeit bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fertigzustellen. Alle, die mir zuarbeiten liefern nicht rechtzeitig - ein Problem? Nein, ich mache es zum Problem. In Wirklichkeit tritt eine Zeitverschiebung ein. - Ich bekomme eine gefährliche Krankheit - wenn ich in Panik gerate, trage ich nichts zur Lösung des Problems teil, ich habe nur zwei Möglichkeiten, ich überwinde die Krankheit oder die Krankheit überwindet mich. Der richtige Weg zur Lösung von Problemen ist Ruhe in sich einkehren lassen, die Zeit zum Stillstand zu bringen, vor allem den Kreisel meiner Gedanken, und aus der Stille die eintritt heraus zu entscheiden, welchen Weg ich gehen will. Plötzlich lösen sich scheinbar unlösbare Probleme auf und ich sehe wieder, wie ich in Einzelschritten Widerstände überwinden kann. Wenn ein anderer Mensch mir seine Probleme berichtet, mache ich es genauso : ich schaffe einen Raum der Stille um mich, lasse das was ich an Problemen höre in diesen Raum und beobachte, wie sich die Probleme von allein auflösen und zu kleinen Einzelaufgaben werden, die nur abgearbeitet werden müssen. - Probleme schaffen wir uns selbst, indem wir Widerstände zum Problem machen. Es gilt wie bei jedem Widerstand, zurückweichen und Raum schaffen und aus diesem Raum, der die Kraft unseres Lebens enthält, die Aufgaben zu erfüllen, die das Leben uns stellt.

Sonntag, 2. August 2020

Das Böse und das Übel

Wenn wir uns in unserem Gebet an Gott wenden, um die Erlösung von allem Bösen zu erbitten, dann verlangen wir das Unmögliche. Das Böse ist inhärent zum Guten, wir sind in die Welt der Dualität hineingeboren und müssen die beiden Seiten des Lebens akzeptieren. Unsere Aufgabe als Mensch ist es, die beiden Seiten im Gleichgewicht zu halten. Kein ganz einfacher Prozess, an dem die Mehrheit scheitert. In der Mythologie haben wie die Einheit – das Paradies - verlassen und Heilung erfolgt, wenn der Heiler Aeskulap uns am Baum der Erkenntnis wieder den Weg ins Paradies zeigt. Bei Luther heisst es im Gebet auch nicht - das Böse - es heisst das Übel. Die Erlösung vom Übel scheint mir realistischer zu sein, wenn wir uns über die Bedeutung einigen können. Wenn das Böse - die dunkle Seite - des Guten – darstellt ist – das Übel - eher im Sinn schlecht zu verstehen, etwas was uns daran hindert das Gute zu sehen. Der Wunsch vom Übel befreit zu werden kann hingegen erfüllt werden. Er bedeutet den Schleier der Illusion zu heben der uns umgibt. Illusion wird von unseren Sinnen und unseren Gedanken erzeugt, die uns vorgaukeln wir hätten es mit der Welt zu tun, die von unserem Verstand begreifbar ist. Und obwohl die moderne Physik uns lehrt, dass alles was wir sind und was umgibt Energie ist und die Welt in Wirklichkeit aus Energiekörpern besteht, glauben wir an das was wir sehen. Wir glauben an die Welt unserer Gedanken, und erschaffen in unserem Kopf ein Welt der Phantasien. Eine falsche Wirklichkeit kann man als Übel bezeichnen, und die Bitte um Befreiung von diesem Übel richtet sich nicht an einen fremden Gott, sondern an uns selbst, an die tiefste Instanz in uns, befreie uns von dem Übel der Illusion, lass uns erkennen wer wir wirklich sind, jenseits von Gedanken und Vorstellungen.