Freitag, 30. Dezember 2022

Die Macht des Schicksals

In der letzten Zeit stosse ich immer wieder auf Bücher, die sich mit der Geschichte des letzten Jahrhunderts beschäftigen. Ich bin in dieses Jahrhundert hineingeboren,  mitten in den Krieg, in das Jahr 1940. - Ich glaubte, immer mehr als die meisten meiner Zeitgenossen über diese Zeit zu wissen. Und plötzlich häufen sich Ereignisse, die mich an diese Zeit erinnern, so als ob ein Kapitel meines Lebens noch nicht abgeschlossen wäre. Ein inzwischen verstorbener Freund, schenkt mir ein Buch über seinen Vater Ribbentrop, in dem dessen Leben gerechtfertigt wird. Ich stiess auch auf ein Buch meiner Tante Ingeborg Breitenbuch, Das Gästehaus, in dem sie die Täter trifft, die sich dem Nürnberger Tribunal stellen mussten, unter anderen J.v. Ribbentrop, den Aussenminister des NS-Regimes.  Ein anderer Freund schenkte mir ein Buch von Jonathan Littel, Die Wohlgesinnten.  Ich konnte  dieses Buch nicht zu Ende lesen, so entsetzlich sind die Grauen, die darin geschildert werden. Meine Schwägerin schenkt mir ein Buch von Ulrich Becher, Murmeljagd, in dem es um Emigration geht, um das heimatlos werden,  und in meiner Bibliothek finde ich zufällig ein Buch, das ich immer zur Seite gelegt hatte, von Philippe Sands, Rückkehr nach Lemberg. Es ist, als ob das Schicksal an meine Tür klopft und mich an etwas erinnern will:  Du hast noch einen Teil Deines Lebens  nicht verarbeitet, es ist Zeit,  Dich auch mit Deiner Herkunft zu beschäftigen. -  Ich gehöre von meiner Geburt her mehreren Völkern an, dem deutschen und dem ukrainischen Volk, und über meine Urgrossmutter auch dem polnischen,  alles Täter- und Opfervölker. Meine Mutter hat nie über den Tod  ihrer Eltern gesprochen, die 1941 nachts vom KGB  abgeholt und ermordet wurden – ich war gerade ein Jahr alt, - das Verbrechen meiner Grosseltern, sie waren Akademiker und damit Staatsfeinde. Bis heute wissen wir nicht, wo sie begraben sind. - Meine Mutter  stammte aus Galizien, aus der Gegend von Lemberg, dem Ort, in dem die westlichen Kulturen und  die östlichen sich über Jahrhunderte friedlich trafen. Die Kirchen in Lemberg und die zerstörte jüdische Synagoge künden von der friedlichen Vergangenheit und dem Miteinander der Völker. Das Schicksal meiner Mutter zeigt den ständigen Wechsel der politischen Dominanzen, sie hatte erst eine österreichische Nationalität, dann eine polnische und zuletzt eine deutsche, niemals aber eine ukrainische.- Das Schicksal ist grausam mit diesem reichen Land Galizien umgegangen:  Die Ermordung der Intelligenz durch die Bolschewiken, die Ermordung der gesamten jüdischen Bevölkerung durch die Nazis, die Vertreibung und Umsiedlung der polnischen Bevölkerung durch Moskau, die Verschleppung und Ermordung der ukrainische Bevölkerung, - erst russische , dann deutsche Täter. Sechs Millionen Tote nur in Galizien, in Polen und der Ukraine. Und die Dämonen des Krieges waren damit nicht zufrieden. Die Täter wurden auch zu Opfern, Millionen von Toten in Russland, Millionen von Toten in Deutschland. - Und wieder ist der Krieg nach Lemberg zurückgekehrt, in die ganze Ukraine, als ob es nicht genug Tote im letzten Jahrhundert dort gegeben hätte. Und wieder werden wir erleben, wie Täter zu Opfern werden, denn der Krieg wird immer von beiden Seiten verloren,  und wieder wird es tausende von Opfern geben. Als ob die Menschen nie etwas dazu lernten, als ob die Dämonen des Krieges zu neuem Leben erwacht wären. – Ich bin vor drei Jahren nach Lemberg in das Land meiner Mutter gefahren, auch nach Kiew. Ich habe nach den Spuren meiner dortigen Identität gesucht. Ich werde auch die nicht gelesenen Bücher über die Ukraine zu Ende lesen. Denn ich werde daran erinnert, dass der Frieden, den ich 80 Jahre erleben durfte, ein Geschenk an mein Leben war. Wie können wir bloss verhindern, dass die Schrecken der Kriege in Vergessenheit geraten, und wieder Völker übereinander herfallen. Ich bin froh, dass ich die Ukraine noch im Frieden erleben durfte, und ich nehme tiefen Anteil an dem Schicksal dieses geplagten Landes  Ich fühle mich durch diesen Krieg in meiner Identität persönlich angegriffen und  betroffen, und ich muss erneut den Krieg in mein Leben lassen, den ich zuletzt in meiner Kindheit erlebte. Das Schicksal ist mächtig und voller Rätsel, und wir müssen bereit sein, uns seinen Herausforderungen zu stellen, seinen Schrecken, seinen Opfern und vielleicht ist es uns vergönnt, das Schicksal wieder zum Besseren zu wenden. 

Donnerstag, 29. Dezember 2022

Ein Frohes Neues Jahr

Die Nachrichten sind voll von Rückblicken auf das Alte Jahr und mit Analysen zur Zukunft, zum Neuen Jahr. Keinem scheint richtig klar zu sein, dass im Alten Jahr alles in der Vergangenheit liegt, nichts mehr geändert werden kann, wir allenfalls etwas für unser Leben hinzugelernt haben, und alle Spekulationen zum Neuen Jahr sinnlos, weil zukunftsgerichtet sind, und es noch niemals einen seriösen Blick  in die Zukunft gegeben hat. Die Zukunft ist als Gegenwart immer anders eingetreten, als wir sie uns vorstellen konnten. Wir brauchen auch keine Böller und Feuerwerke, um die bösen Geister zu vertreiben, die bösen Geister existieren nur in den Köpfen der Menschen, wir können sie nicht vertreiben, in dem wir noch mehr Lärm machen, als ohnehin in unseren Köpfen herrscht. Ich meine den Wirrwarr unserer Gedanken, die sich unablässig in unserem Kopf drehen, nutzlos, weil die gleichen Gedanken sich ständig wiederholen. – Wenn wir zu Besinnung kommen wollen, müssen wir die Zeit anhalten, die Gedanken in unserem Kopf zum Stillstand bringen, uns auf die Gegenwart konzentrieren und auf das, was wir gerade tun.  Dazu  brauchen wir Ruhe und Selbstbesinnung. In der Stille, die eintritt, blicken wir auf das vergangen Jahr und auf das Jahr, das vor uns liegt.  -   Was sollen wir uns zum Neuen Jahr wünschen – ein Frohes und Glückliches Neues Jahr?  Hat das Wort  froh nicht auch eine negative Seite,  unfroh und traurig, das Wort Glück auch Unglück im Gefolge? Das Eine ist nicht ohne das Andere zu haben.-  Aber da gibt aus auch andere Wünsche wie Freude,  Liebe und Frieden, die auch eine höhere Bedeutung haben, eine Bedeutung ohne eine negative Besetzung:  die Freude am Sein, am Leben, - die Liebe zur Schöpfung, zu den Menschen, zur Natur,- und den Frieden jenseits unserer Vernunft, wenn wir in den Raum der Stille eintreten, wenn wir das Rad unserer Gedanken zum Stillstand bringen . - Freude, Liebe und Frieden, das sind meine Wünsche zum Neuen Jahr, das wünsche ich allen Menschen, in Urbi et Orbi, wie man  in Rom sagt.

Montag, 26. Dezember 2022

Eine Geschichte um Weihnachten

Weihnachten habe ich meinen Enkeln die Geschichte von Christi Geburt erzählt, nicht mit den Worten der Lutherbibel, sondern eine Geschichte die für ihr kindliches Herz verständlich war. Für mich selbst war Weihnachten immer die Geburt des Lichtes, der Erkenntnis des Göttlichen im Herzen des Menschen, ein zutiefst seelisches Erlebnis. - Auf der Nachhause Fahrt las ich dann einen Artikel im Kulturteil der NZZ über den norwegischen Autor Jon Fosse über den Glauben. Er beschreibt in einem Interview, wie er zu einem gläubigen Mensch wurde, wie er über Heidegger und Meister Eckhart zum Glauben fand. Und von diesem Interview inspiriert, habe ich dann einen  Artikel gefunden, wieder bei der NZZ vom 24.12 2019 von Thomas Ribi, mit dem Titel «Gott will, dass der Mensch Gott wird», in dem der Autor,  anhand eines Bildes von Fra Angelico , eine Weihnachtspredigt aus dem Mittelalter von Meister Eckhart erläutert: In der Geburt Christi wird Gott zum Menschen und der Mensch zu Gott,  aber nicht als einmaliger Vorgang, den das Neue Testament schildert,  sondern in der Geburt eines jeden Kindes.  Ein wunderbarer Artikel, den ich mit Freude las. - Und es ist genau diese Weihnachtsgeschichte, die ich seit  vielen Jahren mir selbst erzähle, sie ist der Beginn einer neuen Zeit, in der jeder Mensch seinen göttlichen Ursprung erkennen kann, wenn er das Licht der Erkenntnis in sein Herz lässt, wenn er sich seines göttlichen Ursprungs bewusst wird.  - Weihnachten mit Kindern feiern ist  von so grosser Bedeutung, weil  wir alle Kinder Gottes sind,  Weihnachten werden wir daran erinnert. - So habe ich die Weihnachtsgeschichte gleich mehrfach erlebt, von meiner Geschichte für meine Enkel, bis zur Weihnachtspredigt von Meister Eckhart.  Weihnachten war wieder ein grosses Geschenk an mich.

Freitag, 23. Dezember 2022

Zukunft planen

«Es kommt immer anders als man denkt» - sagt das Sprichwort. So geht es uns wenn wir versuchen, die Zukunft zu planen. Jeder braucht nur sein eigenes Leben anzuschauen, was er geplant hat, und was aus der Planung entstanden ist.  Zukunftsplanung bringt selten die gewünschten Resultate – oft das Gegenteil. Die grossen Utopien der Menschheit, Sozialismus, Kommunismus – Zukunftsplanungen die in der totalen Katastrophe endeten. Zukunft lässt sich nicht planen, wir können allenfalls die Gegenwart verwalten. Aber immer wieder kommen Utopisten, die glauben ihre Ideen verwirklichen zu müssen, das einzige was sie erreichen ist Chaos und bestenfalls Stillstand. Jetzt soll die Natur gerettet werden. Grosse Planungen für die Zukunft sollen das Klima und die Menschheit retten. Die Natur lässt sich nicht planen, sie plant sich selbst, sie ist im ewigen Wandel begriffen  und hält immer neue Überraschungen parat. So hat es schon immer Klimawandel gegeben, ganze Erdteile sind verödet oder verreist, andere Erdteile, haben sich  in blühende Landschaften verwandelt. – Das Artensterben soll bekämpft werden:  Schon immer haben die stärkeren Arten andere unterlegene Arten vernichtet. Uns sind nur die grösseren Arten bekannt, die ohne Einwirkung des Menschen zu Grunde gingen, Millionen Arten sind im Lauf der Erdgeschichte verschwunden und von anderen Arten ersetzt worden.  Artensterben ist von der Natur gewollt und  unterliegt dem Gesetz des Wandels. Es gibt nur ein Gesetz, das über Jahrmillionen im Kosmos und auf diesem Planeten gilt: Alles ist im Wandel. Alles entsteht und vergeht,  nichts bleibt so wie es ist.  So sind es nicht die Utopisten, die die Welt retten, es sind die Pragmatiker, die überleben, die den Wandel beobachten, sich anpassen und  aus dem was ist, Neues schaffen. Zukunftsplanung ist eine Utopie und wie alle Utopien zum Scheitern verurteilt. Das gilt im Grossen für die Welt, und es gilt auch im Kleinen, wenn der Mensch für seine Zukunft plant.

Donnerstag, 22. Dezember 2022

Weihnachten 2022

Es herrscht Krieg in Europa. Weihnachten steht vor der Tür. Ich denke an die Soldaten, die bei eisiger Kälte in den Schützengräben aushalten müssen, an die Gefangenen von verbrecherischen Regimes in Lagern und Gefängnissen, die unterdrückten Frauen in vielen Kulturen, aber auch an die Menschen, die in weltweiter Armut leben müssen -  alle sind unsere Brüder und Schwestern, unabhängig von Religion und Nationalität. Ich wünsche allen Menschen, gerade an Weihnachten, Wärme und Zuwendung und vor Allem, dass sie nicht vergessen werden. Weihnachten ist das Fest des Lichtes, das die Finsternis durchdringt. Weihnachten ist die Geburt des reinen Kindes, als Sinnbild für den Menschen, bevor er seine Unschuld verliert. Und wenn wir Weihnachten richtig verstehen, dann ist es auch unsere eigene Geburt, an die wir uns an diesem Tag erinnern. Jeder von uns wird als dieses Kind geboren, als das menschgewordene Göttliche.  Weihnachten besinnen wir uns zurück woher wir kommen und wohin wir gehen und wer wir wirklich sind.  - Wenn wir uns mit unseren Familien versammeln, die Lichter am Baum anzünden, dann tritt Stille ein, Frieden breitet sich in uns aus, es ist der weihnachtliche  Frieden, der jenseits unsere Vernunft liegt, der göttliche Frieden der aus der Stille fliesst, und uns ganz erfüllt. In der weihnachtlichen Stille werden wir wieder eins mit dem Leben, dessen Geburt wir jedes Jahr auf das Neue feiern. Ich wünsche Euch allen diesen weihnachtlichen Frieden und vor allem wünsche ich auch den Menschen, die kein Weihnachten feiern können, dass Frieden in ihre Herzen einkehrt.

Dienstag, 20. Dezember 2022

Ehrfurcht haben

Vor der Natur habe ich Ehrfurcht, vor dem Göttlichen. Ich ehre die Vollkommenheit der Schöpfung, aber woher kommt die Furcht? Dem Göttlichen nicht gerecht werden zu können? Kann ich auch vor Menschen Ehrfurcht haben?  Nur wenn Sie dem Göttlichen nahekommen, wenn ich in ihnen die gleichen schöpferischen Kräfte wie bei Gott erkennen kann. Ich habe Ehrfurcht vor den Frauen, die neues Leben aus sich selbst erschaffen, was käme Gott näher? Ich habe Ehrfurcht vor den Kindern, vor der gewaltigen Kraft des Lebens, das sich in ihnen äussert. Vor den Menschen, die göttliche Begabungen haben, in denen ich die gleichen Kräfte erkenne, die den Schöpfergeist ausmachen. Künstlern, Poeten, Schriftstellern, Erfindern, Naturwissenschaftlern, allen, die sich über den menschlichen Verstand erheben und den göttlichen Funken des Allumfassenden in sich haben. Woher dann aber die Furcht – vielleicht das Bewusstsein, dass jeder von uns. von dem gleichen göttlichen Geist beseelt, zu wenig aus sich gemacht hat, zu selten die eigenen göttlichen Gaben in sich wahrgenommen hat? Furcht vor den Zweifeln an sich selbst, ein Van Gogh, der sich ein Ohr abschnitt, weil er an sich zweifelte? Vielleicht könnten wir uns von dem Zweifel befreien, wenn  wir uns klar machten, dass jeder einzelne von uns, ein vollendetes Kunstwerk der Schöpfung ist, ein Gedanke Gottes, der sich in uns verwirklicht hat? Vielleicht wenn wir ein wenig mehr Ehrfurcht vor uns selbst hätten, vor dem vollendeten Göttlichen in uns?  Furcht könnte der Wegweiser aus dem Zweifel sein,  um das zu ehren was vollendet ist,  das was sich in allem zeigt und in uns selbst zu Hause ist, das Unnennbare, das Ewige.   Verzweiflung ist das Zurückfallen in die Dunkelheit unseres Unwissens, ein Fehlen von Ehrfurcht vor der gewaltigen Schöpfung, deren Teil wir sind. So hat das Wort Ehrfurcht eine Bedeutung, die den Weg des Menschen beschreibt, der Zugleich Ehrung der Schöpfung sein kann, aber auch Furcht vor der Dunkelheit unseres Nichtwissens.

Sonntag, 18. Dezember 2022

Vornamen

Wenn ich auf Taufen über die Namen der Kinder nachdachte, dann sagten mir diese viel über die Eltern, waren das Modenamen oder waren die Eltern seelisch mit ihrem Kind so verbunden, dass sich das Kind selbst seinen Namen geben konnte. Oft habe ich bei den Vornamen ein Lebensprogramm der Kinder entdeckt, dass  intuitiv  von den Müttern erahnt wurde. Meine Mutter gab mir  zwei Namen, die der tief gläubigen  orthodoxen Tradition entstammten. Christian,  der Christliche oder Christos, der Reine, der Gesalbte. Ich habe diesen Namen auch als Lebensprogramm gesehen, als Identität für meinen Weg. Je länger ich über diesen Namen nachdachte, desto mehr verstand ich, dass der Name nicht eine Religionszugehörigkeit bedeutete oder ein Heilsversprechen, sondern dass der Mensch Jesus wollte, dass jeder Mensch sich seiner Christusnatur bewusst werden sollte, dass jeder Mensch Gottessohn ist, Teil des menschgewordenen Göttlichen. Meine Namensgebung war auch ein Lebensprogramm, der Weg durch eine  scheinbar gottlose Welt, als verlorener Sohn des göttlichen Alles, zurück in das allumfassende Sein.  Und auch mein zweiter Name Bohdan, der Gottgegebene, deutet in die gleiche Richtung, aus dem Göttlichen an die Welt gegeben, zwei Menschen in einem, ganz der Welt angehörend und ganz ewiges Sein. Der Name als  Lebensprogramm hat mich auf meinem Weg hinaus in die Welt begleitet, mich nie verlassen, auch in den dunklen Stunden des Vergessens nicht, als ich nur noch die Welt sehen wollte und das Leben in mir vergass. Die Zurückgewinnung des Seins, die Erkenntnis, dass wir mit unseren Sinnen nur die Welt erfassen, und unser kleiner Verstand nur einen winzigen Teil der Wirklichkeit zeigen kann, das ist der Durchbruch zum eigentlichen Ich, das grösste Geschenk, das mir das Leben machen konnte, mich wieder zurückzunehmen in das Allumfassende, der Verlorene Sohn ist zurückgekehrt. Ein ganzes Lebensprogramm in zwei Namen. Es lohnt sich seinen Namen genauer anzuschauen.

Donnerstag, 8. Dezember 2022

Die Rückkehr ins Paradies

In der Mythologie lebten die ersten Menschen im Paradies.  Erst als sie die Früchte vom Baum der Erkenntnis  assen, mussten sie das Paradies verlassen. Sie fielen aus der Einheit mit der Natur, der Einheit mit ihrem Schöpfergeist, und ihr Verstand erwachte.  Der Zweifel war geboren, sie hatten das Paradies verlassen.-  Wenn ich mich hier im Südbereich des Amazonasbecken von Natur umgeben sehe, glaube ich ins Paradies zurückgekehrt zu sein. Die Natur, die Tiere und Pflanzen, der gewaltige Urwald, die Sonne und der Regen, selbst die Berge und die Wolken, alles ist voller Leben, voller Schöpfergeist, ich scheine ins Paradies zurückgekehrt zu sein. Aber dann fällt ein Schatten auf das Paradies, mein Verstand, seine Zweifel : Gibt es das überhaupt, einen Schöpfergeist, eine Einheit mit der Ganzheit des Seins?  Warum versuche ich  Allem einen Namen zu geben, alles einer Wissenschaft zu unterwerfen, zu kategorisieren?  Warum mache ich es nicht wie die Tiere und Pflanzen, die der Kraft des Lebens folgen und einfach sind?  -  Als die Menschheit ihre ersten Schöpfungsmythen schufen, da war es dieser Zweifel, den sie entdeckt hatten. Die Ursünde Zweifel die sie erfüllte. Und sie sehnten sich zurück aus der Zweiheit des Zweifels, zurück in die  Einheit und die Unschuld der Natur. Seitdem ringen wir mit unserem Verstand, der sich zwischen uns  und die Natur gestellt hat, zwischen den Menschen und zwischen den Schöpfergeist.  Aber hier  mitten in einer Landschaft, die von der Schöpfung geschaffen wurde und  in der die Spuren der Menschen zu sehen sind, die in dieser Natur leben, werden wir immer wieder überwältigt von der Vollendung der Schöpfung. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufgeht, die Natur erwacht, die Stimmen der Tiere zu hören sind, hört mein Verstand auf zu denken. Ich fühle mich eins mit dem was mich umgibt, als Teil dieser Schöpfung. Ich habe den Denker in meinem Kopf  zum Schweigen gebracht, ich bin in die Einheit zurückgekehrt, in das Paradies, das nicht in einer unerreichbaren Ferne liegt, sondern mitten um uns und in uns. Das ist das, was ich  hier gelernt habe, und warum mir dieser Platz  so lieb und teuer ist,  ein kleiner Ort, am Araguaia, wo ich das Paradies wieder entdeckte.


Mittwoch, 7. Dezember 2022

Leben mit der Natur

Immer wieder bin ich vom Reichtum der Natur überwältigt, die mich am Fluss Araguaia, im Süden des Amazonas Becken, empfängt. Ob ich will oder nicht, ich fühle mich hier reduziert auf einen Teil der Natur. Der gewaltige Fluss der seit Millionen von Jahren  an der Fazenda vorbeifliesst, die ursprünglichen Wälder, deren Bäume noch die Zeit des Mittelalters  kennen, Pflanzen und Tiere die uns umgeben. Hier fühle ich mich als Teil der Natur, nicht als Mensch, der von aussen auf die Natur blickt. Die Natur ist nicht nur das, was wir als Menschen sehen, hören und fühlen können, denn das hiesse, zu glauben, dass es nur eine Wahrnehmungsebene gäbe, die des Menschen auf die Natur.  Jedes Lebewesen hat eine andere Sicht auf die Natur, die Ameise oder der Vogel sehen eine andere Natur, als der Mensch sie sehen kann. Unser Blick auf die Natur vertieft sich, wenn uns bewusst wird, dass wir eins  mit allen Wesen gemeinsam haben, auch mit den scheinbar toten Dingen, - die Essenz des gemeinsamen Seins, das innere Leben, das alles erschafft, entstehen und vergehen lässt, alles erfüllt, bis hin zu unserem Planeten und den ganzen Kosmos. -  Wie die Indios, die hier noch vor 70 Jahren lebten, höre ich den Fluss mit mir sprechen. Es ist nicht das Rauschen das spricht, sondern es ist die Stille, die die hinter den Stimmen der Natur hörbar wird, die Bäume sprechen durch Stille, die Felsen und Katarakte singen ihr stilles Lied. Die Natur spricht nicht mit Worten, sie spricht mit der Stille, die sie erfüllt. Stille ist die Sprache Gottes, mit der er zu uns spricht, wir müssen nur wieder hören lernen.-  Es ist die Stille, die die Naturvölker empfunden haben, wenn sie am Ufer dieses Flusses standen und dem geheimnisvollen Raunen der Wasser lauschten. -Mein Freund Paulo Viheira hat diese Stille in einem Fries eingefangen, das das Leben der Urbewohner schildert. Paulo hat den früheren Menschen ein Denkmal gesetzt, als er ihr Leben und ihr Einssein mit der Natur, in seinen Bildern schilderte.   Ich hoffe die Bilder bleiben erhalten, als Erinnerung an Menschen, die noch in der Einheit mit der Natur lebten, und die in der Stille die Sprache Gottes verstanden.

Freitag, 2. Dezember 2022

Geschenke des Lebens

Wie vielfältig das Leben auf uns zukommt. Ich bin auf der Fazenda mitten in der Natur. Wohin ich auch blicke sehe ich Leben. Der Regen der uns hier täglich begleitet bringt Leben, die Tiere um uns,  die Weiden, die aus dem Regen neue Kraft schöpfen, die Brüllaffen, die den Regen begrüssen, alles atmet Leben.  Es ist unser Blick, der uns das Leben erkennen lässt, und es ist der gleiche Blick, der in Allem auch die Vergänglichkeit sieht. Wer in allem das Leben sehen kann, sieht das Göttliche, das Ewige, wer überall Vergänglichkeit und Ende sieht, der blickt auf die Welt in ihrer Endlichkeit.  – Ich habe immer versucht das Wunder des Lebens zu sehen, auch in den Zeiten,  in denen  ich noch als Kind an den Folgen des Krieges litt, an den Krankheiten, dem Mangel, den Entbehrungen. Immer hat das Schicksal,  mitten aus dem Chaos der Nachkriegszeit,  einen Weg in die Zukunft gezeigt, und immer wieder kam ich gestärkt aus jeder Krise.  Geholfen hat mir die Liebe meiner Eltern, die Verantwortung, die ich für meine Brüder fühlte und jeder Tag, der mich lehrte, dass oft der Weg durch die Not, auch ein Weg des Lebens ist. - Die wunderbaren Menschen, die mich auf meinem Weg durch das Leben begleiteten, alle ein Geschenk des Lebens an mich, und ich versuche dieser Geschenke würdig zu sein, den Kindern, die mich so viel gelehrt haben, die mich noch immer begleiten und an meiner Seite sind, die Frauen, die mir so viel von ihrer Liebe und Energie geschenkt haben,  die Freunde mit denen ich durch das Leben ging, und die immer weniger werden, und ich versuche allen, so viel wie ich kann, zurückzugeben. Es ist eine grosse Weisheit, dass wir nicht nur Geschenke erhalten, sondern auch Geschenke zurückzugeben haben. Alles was mir Menschen schenken, erfordert ein Gegengeschenk und wir müssen genau hinschauen, um das richtige Gegengeschenk zu  finden. Wenn mir ein Mensch sein Leben schenkt, dann schenke ich ihm mein Leben, meine Zuneigung und meine Hilfe. Alles was das Leben mir schenkt, gebe ich auf  meinem Weg zurück. Und wenn ich alles richtig mache, verlasse ich diese Welt im gleichen Zustand, in dem ich sie betreten habe und es ist dann, wann ich mein reichste Geschenk zurückgebe, mein Leben.

Dunkle Momente

Wie viele Menschen erreichen in ihrem Leben einen Moment, in dem sie nicht mehr weiter wissen. Vielleicht ist die gesamte Menschheit an einem  solchen Moment angelangt. So wie wir als einzelne Menschen, mit all unserem Wissen und Können oft an einen Punkt kommen, wo wir kein Licht mehr sehen, das unseren Weg erleuchtet, geht es der ganzen Menschheit, die nicht mehr wissen, wie es weiter geht mit dieser Welt, in der wir leben. Meine Erfahrung sagt mir,  immer wenn es am Dunkelsten ist, dann ist das Licht ganz nahe. Beim einzelnen Menschen der in Dunkelheit und Depression verfällt und nicht mehr weiss, wie es weitergeht, da ist die Lösung direkt vor ihm. Es sind nicht die Psychologen die ihm helfen können, es ist das Licht des Lebens, das ihm hilft, wenn er den Vorhang der dunklen Gedanken beiseite zieht und das Licht in sich hineinlässt. Wer nicht die Kraft hat, den Vorhang aufzureissen, dem wird das Leben zur Hilfe kommen. -  Wer in seinem Haus  die Läden schliesst und in der Dunkelheit nicht mehr weiss,  wie die Läden geöffnet werden,  verzweifelt und findet nicht mehr das grösste Geschenk des Lebens, das Licht. Wenn wir glauben, es geht nicht mehr, die Depression uns in die Dunkelheit reisst, dann sollten wir uns erinnern, dass hinter der Dunkelheit, das Licht wartet, und jeder Weg aus der Dunkelheit wieder ins Licht führt. Es ist das Licht des Lebens, das uns in diese Welt geschickt hat und uns wieder aufnimmt, wenn wir am Ende unseres Lebens angelangt sind.  Dunkelheit ist nur der Träger des Lichts, sie verschwindet, wenn wir die dunklen Gedanken in unserem Kopf anhalten und das Licht in unser Leben lassen. Dunkelheit ist die Unbewusstheit in uns, und auch in der Mehrheit der Menschheit. Es ist diese kollektive Unbewusstheit, die uns die Kriege bringt, die Krisen der Welt, die Krankheiten, den Tod. Es ist diese Unbewusstheit die Jesus ausrufen liess:  Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. – Das war vor 2000 Jahren und es scheint sich wenig geändert zu haben. Die Menschheit verharrt in ihrer Unbewusstheit und findet nicht zurück in das Licht.