Montag, 15. September 2014

Jenseits der Wissenschaft

Du stehst am Ende Deines Lebens und blickst auf Dein Schaffen zurück. Du hast ein bedeutsames Werk geschaffen. Die anderen sagen, das ist ein wirklich grosser Denker.  Er hat alles erreicht was man sich auf diesem Gebiet wünschen könnte. Und doch ist da etwas in Dir, das Dir sagt, war das alles,  ich könnte doch noch so viel mehr leisten.  Und  vielleicht setzt Du Dich hin und schreibst noch ein bedeutendes Buch und alle sagen, ein wirklich wichtiges Werk.  Aber Deine Stimme sagt, das war es doch nicht was ich wollte.  Soll  das alles in meinem Leben gewesen sein?  Und dann tritt ein wichtiges Ereignis in Dein Leben ein.  Du hast einen Schlaganfall und plötzlich sind wichtige Voraussetzungen nicht mehr da, um vielleicht noch ein wichtiges Werk zu schreiben, aber Dein Schicksal hat Dir die Fähigkeit erhalten, weiterhin wahrnehmen zu können, denken zu können, aber auch wahrnehmen zu können.  Du liegst in Deinem Bett und denkst, welches Unglück, ich kann noch denken, aber nicht mehr das schreiben, was ich denken kann.  Aber daneben ist auch noch eine andere  Wahrnehmung, wie wäre es,  wenn mein Schicksal mein Freund ist und mir diese äussere  Einschränkung meiner Handlungsfähigkeit geschickt hat, um mir noch in meinem Leben Gelegenheit zu geben, die Dimension des Nichtdenkens zu erleben,  das wahrnehmen zu können, was zwischen den Gedanken liegt,  die Stille, die Weite, die Leere.  Nicht die Sterne zu analysieren,  sondern den Raum wahrnehmen, in dem die Sterne sich bewegen,  nicht die Worte zu denken, sondern die Stille wahrzunehmen, aus der die Worte entstehen, nicht den Baum zu spezifizieren, sondern die Schönheit und Vollkommenheit des Baums auf mich wirken zu lassen.  Aber vor allem, in mich hineinzublicken und die Vollkommenheit des Lebens in mir wahrnehmen zu können, das Leben, das bis zu meinem letzten Atemzug  in mir ist und alle Funktionen meines Körpers in perfekter Harmonie miteinander korrespondieren lässt.  Auch wenn einzelne Funktionen eingeschränkt sind, ist doch das Ganze erhalten und wird erhalten bleiben, solange ich lebe.  Dieses Leben kann ich nur jenseits meiner Gedanken wahrnehmen, es ist die eigentliche Welt, aus der wir kommen, die in uns ist und in der wir immer bleiben werden.  Fragst Du mich nach dem Sinn des Lebens, so antworte ich, alles was wir in unserem Leben geleistet haben, hat seinen Wert, aber der eigentliche Sinn ist es, die Dimension in uns wahrnehmen zu lernen, die uns ausmacht und aus der wir kommen. 


Sonntag, 7. September 2014

Metamorphose

Der Sommer geht zu Ende, in diesen Spätsommertagen wird mir die Vergänglichkeit von allem bewusst.  In Gesprächen mit J.  wird immer wieder die Trauer und der Verlust deutlich, den der Tod meines Bruders in ihrem Leben hinterlassen hat.  Es wird mir aber auch bewusst, dass der Tod nichts Schreckliches an sich hat,  das Schreckliche sind nur unsere Gedanken über den Tod, nicht aber der Tod selbst.  Schon in der Geburt ist  unsere Körperform dem Verfall ausgesetzt, und wenn der Tod eintritt schwindet unsere Körperform und hinterlässt da, wo sie vorher gewesen ist eine Leere.   Es ist diese Leere,  die hinter der schwindenden Form aufscheint, die uns  einen Blick in die Dimension ermöglicht, aus der wir kommen und in die wir zurückkehren.   In der scheinbaren Leere scheint  das durch, das die Körperform geschaffen hat, das was wir das Göttliche nennen.  Der Tod  ist nur die Metamorphose des Gegenständlichen in das nicht Gegenständliche,  es ist ein heiliger Moment in der Existenz des Menschen.  So wie die Raupe sich verpuppt und zum Schmetterling wird, transformiert sich der Mensch im Moment des Todes in etwas für unseren Verstand nicht Fassbares.   Wenn wir tief in uns Hineinhören, dann erkennen wir in uns und in allem das Leben.  Das Leben vergeht nicht, nur die Form.  Wenn das Leben unsere Form verlässt, kehren wir nur dorthin zurück,  wo wir immer gewesen sind.  In der Leere die mir der Tod eines nahestehenden  Menschens hinterlässt, erkenne ich das Leben, und in dem heiligen Moment des Todes sind nicht nur der Sterbende, sondern auch die Menschen, die an seiner Seite sein dürfen, dem Numismatischem, dem Schöpfungsprozess, am Nächsten.  Erst der Tod ermöglicht uns das Leben zu erkennen, das in allem ist,  er ist nicht das Ende des Lebens,  sondern nur der Wandel der Form.
In unserer Verdrängungskultur,  in der wir den  Tod nicht wahrhaben wollen, entgeht uns ein ganze wesentlicher Aspekt,  der Aspekt des Lebens.  Nur wenn ich den Tod  sehe, erkenne ich das Leben in mir.  Ich lebe bewusster, ich lasse dem Tod seinen Platz in meinem Leben und kann jetzt erst  das Geschenk des Lebens in seinem vollen Umfang würdigen. 

Ich  erblicke das Wunder des Lebens in den Kindern, die um mich spielen, ich schaue auf das Leben in den Lilien auf meinem Tisch, ich schaue auf die Elemente um mich,  höre das Rauschen der Brandung, lasse mich in den Spätsommertagen von dem diesigen Licht davontragen,  atme die salzige Meeresluft,  sehe in den Bäumen die Oliven reifen.  Der Sommer geht zu Ende, der Herbst naht,  um mich die Fülle des Seins und alles im Wandel begriffen, wie wir selbst auch,  alles im Wandel,  kein Anfang und kein Ende,  das ist das Leben. 


Samstag, 6. September 2014

Zuhören

Wenn ich  Menschen im Flugzeug sehe,  Sportler  beim Joggen oder im Studio, fast jeder trägt einen Knopf im Ohr und lässt sich beschallen. Haben die Menschen die Fähigkeit verloren die Stille zu ertragen?  Wir erleben an uns selbst, dass da jemand im Kopf unablässig spricht und unser Gehirn mit Gedanken besetzt.  Werden jetzt mit Musik die Gedanken überlagert? Wie ist es mit der Stille, aus der  Gedanken und Musik entstehen?  Gibt es noch Momente  in denen wir Stille zulassen?  Stille ist die   Dimension in uns, in der die Welt der Töne entsteht.  Nur wenn wir uns die Fähigkeit erhalten, in die Stille zu gehen werden wir uns des Wertes der Töne bewusst. Wir müssen wieder zuhören lernen,   um das Geschenk der Töne zu erfassen.  
Wir leben mit Menschen zusammen, unablässig  werden wir mit  Nachrichten,  Geräuschen, Musik, Lärm zugedröhnt.   Wie ist es denn mit dem Zuhören,  wenn wir mit anderen Menschen sprechen, mit unseren Kindern, unserem Partner.  Hören wir besser zu, wenn es etwas wichtiges zu sagen gibt oder lassen wir die Geräusche nur am Rande zu und hören kaum hin? 
Wahrscheinlich werden wir wieder zuhören lernen müssen.  Zuhören setzt Stille in mir selber voraus.  Das Ausblenden von den Gedanken, die ständig in meinem Kopf kreisen.  Dabei ist es nicht wichtig  was der Gegenstand des Gespräches ist. Wichtig ist,  dass ich das Feld der Stille in mir spüre.  Dieses Feld der Stille ist grösser als  mein Selbst, es teilt sich  dem anderen mit.  Der andere spricht in dieses Feld der Stille hinein, er kann dieses Feld der ungeteilten Aufmerksamkeit fühlen, in diesem Feld fühlt er sich  erhört,   er fühlt sich erhört, weil  in ihm dieses gleiche Feld vorhanden ist und nur in diesem Feld die Verbindung von zwei Menschen  stattfinden kann.

Töne sind  schwingende Wellen. Der Resonanzboden ist nicht nur  der Kosmos  der Zellen, die für die Aufnahme von Tönen ausgestattet sind,  es ist der Raum der Stille im anderen, der auch mein Raum der Stille ist.   In der Stille  nehmen wir nicht nur die Töne, sondern auch  den anderen war, Stllle ist das was wir uns von einem anderen wünschen, aber vor allem  für uns selbst, es ist die Stille in uns, die uns  zu einem guten Zuhörer macht.