Gedanken zum Tod meines Bruders
Der Himmel ist mitten unter uns.
Himmel und Erde sind nicht getrennt,
Erde kann nur sein, weil es den Himmel gibt. Geburt und Tod sind die
Pforten des Himmels zur Erde und in der kurzen Spanne zwischen Geburt und Tod
leben wir dieses Leben. Auf unserem Weg auf
der Erde durchwandern wir viele Stationen , Kindheit, Ausbildung, Beruf, Ehe,
Familie – Was bleibt von uns auf dieser Erde sind nicht irdische Güter, Rang, Macht
Ansehen, das alles zerfällt zu Staub, so
wie wir selbst zu Staub werden. Was bleibt
sind unsere Spuren der Liebe, die wir auf unserem Weg durch das Leben
hinterlassen. Liebe ist die stärkste Äusserung des Lebens die wir wahrnehmen
und ausüben können. Liebe ist nicht dem
Gesetz des Wandels unterworfen, sie ist
ein Teil des Himmels mitten unter uns. Auf diese Stationen der Liebe im Leben
meines Bruders, der empfangenen und der gebenden möchte ich einige Blicke
werfen.
1943 im August hat Dich unsere
Mutter in Ranis geboren. Sie war gerade 40 Jahre alt geworden. Unsere
Mutter hat mit grosser Liebe an Dir gehangen. Es warst Du, der 1945 vor Einmarsch der Russen als Jüngster in den Armen der Mutter vor den Russen floh.
Erst in den beiden kommenden Jahren
konnte sich die Familie in Reinbek wiedervereinen. Es waren ganz harte
Nachkriegsjahre, die wir erlebten, wir waren so verhungert, dass wir 1947 vom
Roten Kreuz in die Schweiz geschickt wurden um wieder etwas zu Kräften zu
kommen. Trotzdem fühlten wir uns nie allein, wir wussten uns in der Liebe
unserer Eltern geborgen, diese Liebe hat
eine tiefe Spur in Dir für Dein späteres Leben hinterlassen, ein Kind, das
geliebt , und dessen Liebe nicht enttäuscht wurde, erhält die gleiche Kraft ,
Liebe zu geben.
Wir hatten dann 4 wunderbare Nachkriegsjahre in Mailand,
lebten mit unseren Eltern und gingen dort zur Schule. Du warst 11 als wir von dort
versetzt wurden, das waren warme und
geborgene Jahre im Elternhaus, es waren aber auch die bewussten Jahre mit den
Geschwistern, die für unsere Beziehung wichtig waren. Du warst natürlich immer
unserer jüngster Bruder, besonders umhegt von den Eltern und beschützt von den
grösseren Brüdern.
Nach einem kurzen Gastspiel in
Bonn gingen dann unsere Eltern nach Kopenhagen. Erst sollten wir beide auf das
Internat in Plön in Holstein, aber auf Dein inständiges Bitten durftest Du mit
nach Kopenhagen und dort zur Schule gehen, Du warst erst 13 und brauchtest noch die Wärme des Elternhauses.
Die Wege der Brüder trennten sich in den
verschiedenen Schulen. Dir aber waren noch
4 weitere Jahre im Elternhaus
vergönnt, was für Deine innere Entwicklung von grosser Bedeutung war. Es war
diese Zeit, in der sich Dein besonderes Verhältnis zu unserem Vater
herausbildete, dem Du fortan immer am nächsten standst.
1961 zogen die Eltern wieder
nach Bonn. Auch dort wohntest Du noch bei Ihnen und fingst an Jura zu
studieren. Deine enge Verbindung zum Elternhaus und die Liebe der Eltern zu
ihrem Jüngsten prägten Deine Jugend und gaben Dir die Fähigkeit, mit Vertrauen und Selbstbewusstsein durch das Leben zu gehen. Vor dieser Liebe, die wir Brüder von unseren
Eltern empfangen haben und vor unseren Eltern verneigen wir uns in Dankbarkeit.
1969 starb unser Vater, ich weiss, dass Dich das sehr getroffen hat, er hatte einen wichtigen
Platz in Deinem Herzen und der Tod
konfrontierte Dich zum ersten Mal.
Während Deiner Bonner Zeit in der Du das Jurastudium und die Attacheeausbildung im Auswärtigen Amt zum Abschluss
brachtest hattest Du eine langjährige
Verbindung mit Konstantins Mutter die Du
heiratetest. Aus dieser Verbindung ging Konstantin hervor, und ein
kleiner totgeborener Bruder der bei Euch immer unvergessen blieb und im Grab
unserer Eltern mitbegraben wurde und auch jetzt hier mit den Eltern in Stechow
liegt. Es sind diese Kinder, die Zeugnis
unserer Liebe sind, Menschen mögen auseinandergehen aber die Liebe bleibt in unseren Kindern sichtbar. Ich verneige
mich vor Konstantin, seiner Mutter, die
ihn grossgezogen hat und dem kleinen Bruder, der nicht leben sollte, in Euch
lebt die Liebe Eurer Eltern weiter.
Besonders danke ich Konstantin, der die schwere Situation zwischen
seinen Eltern ertragen musste, dass er unverbrüchlich zu beiden Elternteilen
stand , er ist mir als mein Patensohn besonders ans Herz gewachsen.
In Madagaskar, wohl einer Deiner
schönsten Auslandsposten, lerntest Du
Christiane kennen. Christiane lehrte an der dortigen Universität Kernphysik. Da habe ich eine wirklich grosse Liebe
zwischen Euch beiden erlebt. Ihr
heiratet und aus der Verbindung ging Adrian hervor, das waren goldene Jahre
voller Glück. Ihr lebtet in Tokio als
kleine Familie und es war dort, als Christiane von ihrer Krankheit erfuhr. Zu früh
wurde Christiane von Deiner Seite gerissen und liess Dich mit dem
kleinen Adrian zurück. Adrian war damals 10 Jahre alt. Er erinnert mich in so
vielem an seine Mutter, an ihre Ruhe, ihre Liebenswürdigkeit, ihre Intelligenz.
Ich denke noch oft an die Beerdigung in den
Bergen, in denen sie ihr Haus hatte, wo
sie auf einem kleinen Bergfriedhof bestattet liegt, und der Pfarrer über den
Psalm sprach, ich schaue auf zu den Bergen von denen mir Hilfe kommt,
Du standst wie versteinert, so voller Trauer, so voller Schmerz,
fassungslos vor der ungeheuren Lücke, die der Tod von Christiane in Eurer kleinen Familie hinterlassen
hatte. Ich verneige mich heute vor
Adrian und vor Christiane, Deine Liebe zu Christiane hat deutliche Spuren
hinterlassen.
Von den Bergen kam die
Hilfe, aus dem fernen Japan trat Junko
in Dein Leben ein. Dieser unabhängige
Geist, der sich gegen Familie und Tradition mit eisernem Willen ihren Weg als
Opernsängerin bahnte. Du hast das Herz
dieses stolzen Menschen erobert. Euch vereinte noch einmal eine späte reife
Liebe, Ihr tatet Euch gegenseitig gut,
und vor allem Junko fand in Adrian den Sohn, der ihr in
Ihrem Leben noch fehlte. Euch vereinte nicht nur Eure Liebe, sondern auch die
Musik, und vor allem Adrian, dem Junko ihre volle Mutterliebe schenkte. So
hattet Ihr einige wunderbare Jahre zusammen,
in Thailand und in Bern und und
später in Berlin und Tokio. Junko, Du hast Dich selbst übertroffen, als
Du am Krankenbett von Andreas Tag und Nacht wachtest, noch im Koma hast Du Andreas Hände und Füsse massiert und für ihn
gesungen. Wenn Deine Töne sein Ohr
trafen, bewegten sich seine Augen, er
konnte Dich hören. Auf den Schwingen
Deiner Musik ist er hinübergeglitten in das andere Land, das wir den Himmel
nennen. Junko, ich verneige mich vor Dir
und vor Adrian, vor Eurer Trauer, ich bin sicher, Andreas ist in Euren Herzen auf ewig bewahrt.
Ich verneige mich aber vor allem
vor Dir, mein jüngster Bruder, der Du schon vor mir gegangen bist. Ich verneige
mich vor Deinem Lebenswerk, vor den Spuren, die Deine Liebe auf dieser Erde hinterlassen hat und vor den Menschen, in deren Herzen Du
weiterlebst.
Stechow, den 26. 11. 2013