Ein Mensch ist gestorben. Da wo
eben noch an unserer Seite unser Gefährte war, ist eine Lücke, da wo ein Lebensgefährte, ein Vater, ein
Freund war ist nichts, nur noch eine Erinnerung, eine Leere. Aber ist es wirklich so, wie es uns unsere
Augen, unsere Sinne mitteilen, ist es
wirklich so, dass da nur Leere ist, nur noch eine Erinnerung an etwas, was
gewesen ist, ein leerer Raum, in dem
sich nichts befindet? Bleibt uns nach
der Trauer um den Verstorbenen nur ein Grabstein, auf dem die Daten von Geburt und Tod stehen und ein kleiner Bindestrich zwischen den Zahlen, die
unser Leben bedeuten? Ist der geliebte Mensch nur
noch eine Erinnerung, sind wir allein, ohne den Menschen den wir so gut kannten? Könnten uns
nicht unsere Sinne täuschen, unsere Augen, die nur das
Gegenständliche sehen, nicht aber das was das Gegenständliche geschaffen hat,
unsere Ohren, die nur die Töne hören, nicht aber die Stille wahrnehmen, aus der
die Töne klingen, unser Verstand, der
nur das denken kann, was gegenständlich ist, nicht aber das was ihn geschaffen
hat. Ist es wirklich so, wie uns die
Stimme in unserem Kopf einzureden versucht, dass nur das ist, was unsere
Sinne erfassen können, und das jenseits
unseres Denkens nichts denkbar ist?
Ich schaue auf den nächtlichen Himmel.
Eine völlig dunkle Nacht und in diesem Oktober ist das Meer der Sterne
und die schwache Sichel des Mondes ganz deutlich sichtbar. Eine ungeheure Leere und eine nicht
benennbare Anzahl von Sternen. Die Dunkelheit und Leere, die ich erblicke nenne
ich Raum, aber das ist nur ein Wort für etwas was Leere, Nichts ist. Ich sehe Sternbilder, den Sternen haben wir einen
Namen gegeben. Wir benennen das was wir
sehen, aber unsere Worte und Namen sind nur Schall und Rauch, sie sind
allenfalls Hinweise, Fingerzeige auf das was ist oder wie die Budhisten sagen,
der Finger, der auf den Mond weist ist nicht der Mond. Vor lauter Namen und
Kennzeichnungen nehmen wir nicht das wahr, was hinter den Dingen ist, wir erkennen nicht, dass es die Leere ist aus
der die Fülle der Sterne, der Formen,
des Seins entstehen, dass es der Raum, das nicht Beschreibbare ist, dass den Sternen ihre Bahn gibt und auch die
Regeln unseres eigenen Lebens aufstellt.
Wir können wahrnehmen, dass alles lebt, dass alles um uns voller Leben
ist und dass dieses Leben auch
Gesetzmässigkeiten unterliegt, die sich unserem Verstand entziehen. Alles
dies können wir wahrnehmen und doch sagt uns die Stimme in unserem Kopf, die Wahrnehmung gibt es nicht, es gibt nur
das was ich Dir sage, ich die Stimme in
Deinem Kopf. Und wir glauben das und
gehen durch unser Leben und wissen das uns etwas fehlt. Wir suchen etwas, das wir den Sinn des Lebens
nennen, was aber in Wirklichkeit nur der Zugang zu der Dimension ist, die sich
unserem Denken entzieht. Auf der Suche
nach dem Zugang zur Wahrheit unseres
Lebens komme ich auf den Ausgangspunkt
zurück, auf den Tod eines geliebten Menschen. Der Tod ist solch ein Zugang, dort wo vorher ein geliebter Mensch gewesen
ist, ist scheinbar nichts. Aber in diesem Nichts scheint etwas auf, was wir
wahrnehmen können, wenn wir einen Sinn für das Transzendente entwickelt
haben, es scheint das auf, was wir die Seele des Menschen nennen , das was seiner Person Leben gegeben hat, das
was nicht dem Prozess von Werden und Vergehen
unterliegt. Es scheint das Leben auf in
seiner reinsten Form. Im Moment des
Todes können wir das Leben am deutlichsten fühlen, das die sterbende Form
verlässt, und
eingeht in die Fülle des Seins.
In unserem Leben haben wir Rang und Namen gehabt, haben wichtige Ämter bekleidet, Gegenstände
besessen, und schon im Alter fangen wir
an alles hinter uns zu lassen, Rang und Namen
fallen ab, das Vermögen schwindet,
Motten und Rost zerfressen, was wir im Leben gebaut haben. Aber gerade bei alten Menschen ist wunderbar zu
beobachten, wie langsam in der schwindenden Lebensform das durchscheint, was
den Menschen wirklich ausmacht, das Leben selbst, und dieses Leben stirbt nicht, wenn die Form endgültig verfällt, es ist dieses
Leben das bleibt.
Wir die Beobachter sehen, wie
unsere Gefährten gehen. Wer ist das, der
Beobachtet? Ist das unserer
Verstand? Ist das was wir sehen nur ein Gedanke, eine
Erinnerung in unserem Gedächtnis, das
mit unserem eigenen Tod erlischt?
Könnte es nicht sein, dass gerade der Tod uns einen Zugang verschafft zu
einer Dimension des Lebens, die wir noch nicht wahrgenommen haben?
Wenn wir durch die Wahrnehmung
des Todes gehen, öffnet sich eine Pforte
in uns. Wenn wir durch diese Pforte gehen, dann können wir die Transzendenz unseres Seins wahrnehmen, die
andere Seite unserer physischen Existenz.
Der Tote hat uns allein
gelassen. In diesem Alleinsein liegt die
Möglichkeit unser Bewusstsein zu erweitern.
Schon das Wort Alleinsein gibt den Hinweis auf das was
uns der Tod geben kann. In diesem
Wort liegt das All Eins sein, eins sein mit dem Sein, eins sein mit dem
Leben. Das Leben in uns nimmt das Leben
im anderen wahr, auch im Leben des Verstorbenen, das Leben in allem was uns umgibt. Wenn ich eins werde mit dem was mich scheinbar
verlassen hat, dann hat es keinen Verlust gegeben, ich habe den Zugang zu
meinem wirklichen Sein gefunden, dann
bin ich eins mit dem Leben und eins mit dem an den wir heute denken.
Wenn wir auf
den Friedhof gehen, dann können wir uns traurigen Gedanken hingeben, wir
können aber auch auf die Vergänglichkeit von uns selbst schauen, ohne Wertung, und
einen Zugang erhalten zu der Ebene, die jenseits der Ebene des Denkens
liegt. Es ist die transzendente Seite
unsere Seins, die wir betreten Wenn
wir, die Lebenden, die
Frage stellen, wer bin ich? Dann kann die Antwort nur Schweigen sein, nur
Stille, nur Raum. Und dieser Raum ist
die ganze Fülle des Seins. Wer bin ich? Die Antwort ist nicht: Ich bin mein Name, meine soziale Stellung,
mein Körper, diese sind nur für kurze
Zeit die Fassung oder der Rahmen für den
Raum, durch den ich hindurch auf das blicken kann, was wirklich ist.
Wenn wir an diesem Ort der Verstorbenen, nicht mehr den Verstorbenen,
sondern das sehen können, was der Verstorbene wirklich war und ist, dann
gewinnen wir die einzige Einsicht, die wirklich ist, jenseits unserer
körperlichen Form, und wir sind im Einklang mit den Lebendigen und den
Toten. Und diesen Einklang und Frieden,
der höher ist als unsere Vernunft
wünsche ich Euch allen auf Eurem Weg.