Donnerstag, 20. April 2017

Stille


Mit zunehmendem Alter lässt oft die Hörfähigkeit nach. Ich höre weniger, aber gleichzeitig höre ich mehr. Ich höre mehr Stille. Wenn ich die Menschen um mich beobachte, dann scheinen sie alles zu tun, um keine Stille eintreten zu lassen. Sie reden, oft völlig sinnloses, lassen den Fernseher laufen, noch mehr sinnloses Geschwätz, stecken sich Hörer in die Ohren, und lassen ganze Musiksammlungen an ihrem Gehör vorbeilaufen.  Es ist, als ob sie alles dafür tun, um keinen Moment der Stille aufkommen zu lassen. Dabei kommt jedes Wort, jeder Ton aus der Stille, wird von der Stille getragen, kehrt in die Stille zurück.  Die Stille ist die Essenz jedes Tons, ohne Stille würden wir den Ton nicht wahrnehmen. Und doch unternehmen wir alles, um die Stille mit Lärm so zu verdecken, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen können. Wir leben in der lautesten Welt, die es je gegeben hat. Dabei ist Stille das, was den Ton ermöglicht, es ist Stille, aus der die Schönheit von Musik erwächst, es ist Stille, aus der die Gedichte fliessen, es ist Stille, aus der die Amsel singt. Brauchen wir erst das Alter, um Stille wieder wahrnehmen zu lernen?  Aus meiner Umgebung höre ich die Klage, der Arme hört schlecht.  Ich höre nicht schlechter, ich höre nur selektiver und intensiver. Ich höre nur noch das, was ich hören möchte und höre heute Töne, die ich früher in dem Umweltlärm nicht mehr wahrnehmen konnte. Heute kann ich das Lob der Stille singen, sie ist mir bewusster geworden, weil erst das Alter mir ermöglicht hat Stille wahrzunehmen.

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