Samstag, 9. Mai 2020

Das Erwachen des Menschen

Es muss ein grosser Moment gewesen sein, als ein Lehrer in Königsberg seine Studenten aufforderte aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu erwachen. Wahrscheinlich schauten seine Schüler ihn ungläubig an, als sie aufgefordert wurden in sich selbst die Maxime ihren Handelns zu suchen. Waren sie nicht hergeeilt, um Anleitung zu erfahren? Seit Jahrtausenden waren es die Menschen gewohnt, dass andere ihnen ihren Weg zeigten, Herrscher, Religionen und auch Philosophen. Hatte sich in der Zeit der Aufklärung irgendetwas geändert, war die Welt eine andere geworden? - Die Welt war immer noch dieselbe, was sich möglicherweise in einzelnen Menschen änderte war das Bewusstsein. Einzelne Menschen erkannten, dass nicht im Aussen ein mächtiger Gott oder ein allmächtiges Schicksal das Leben dirigierte, und auch nicht Herrscher oder Lehrer, sondern dass die Quelle des Lebens im Menschen selbst ihr zuhause hatte, und dass der gewaltige Anspruch eines Kant an seine Studenten, selbst die Maxime ihres Handelns zu bestimmen, gar nicht so schwierig war zu erfüllen. Sie entdeckten, dass jeder von ihnen im Besitz der Quelle und der Wahrheit war und selbst sein Handeln und die Grenzen seines Handelns zu bestimmen hatte, also eigenverantwortlich für sein Leben war. Die Zeit der Aufklärung war angebrochen.
Haben wir seitdem etwas dazugelernt, oder sind wir nach einem kurzen Erwachen wieder in den Schlaf der Unmündigkeit zurückgefallen? Die Evolution lehrt uns, dass sie nicht in einer ständigen Aufwärtsentwicklung ist, sondern dass auf eine Zeit des Wachstums, eine Zeit des Niedergangs folgt, wieder gefolgt von einem neuen Wachstum. Der Zeit der Aufklärung folgte die Zeit des Vergessens, das wieder erlangte Bewusstsein wurde von Wohlstand und Egoismus verdrängt, am Ende standen die grossen Kriege, an die Stelle der ewigen Wahrheiten traten Ideologien und Wahn, der Organismus Mensch taumelte erneut seinem Untergang entgegen.
Seit den grossen Menschheitskathastrophen hat die Evolution uns eine Pause des Nachdenkens eingeräumt. Haben wir etwas aus dieser Pause gemacht und sind wir wieder zu Bewusstsein gekommen? Ich meine zu erkennen, dass mit dem Ende des menschenverachtenden Kommunismus, auch gleichzeitig der egoistische und ausbeutende Kapitalismus an seine Grenzen gestossen ist. Der Mensch zeigt wieder mehr sein Gesicht als mündiges Wesen. Die grosse Mehrheit erkennt, dass es dem Einzelnen nur gut gehen kann, wenn es auch den Mitmenschen gut geht. Zumindest in der westlichen Welt ist Versklavung und Unterdrückung entfallen. Wir kümmern uns nicht mehr nur um uns selbst und unsere Familien. In unseren Gemeinwesen sorgen wir uns um alle, um Ausbildung und Gesundheit. Wir beziehen nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur und die Artenvielfalt in unser Denken ein. Wir erkennen zunehmend die Grenzen unseres Handelns Es gilt noch immer das Gebot des kategorischen Imperativs für uns: Die Lösung der Probleme liegt in jedem Einzelnen, wenn jeder Einzelne für sich so handelt, dass er nicht nur seine Mitmenschen respektiert, sondern auch die Natur und unseren Planeten, lebt er gesamtverantwortlich für sein Leben und auch das Leben der Anderen. Wir erwachen, wenn wir diese Eigenverantwortlichkeit für uns selbst erkennen

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