Wie alles im Leben, hat das Alter nicht nur Nachteile,
sondern auch seine schönen Seiten. In der Jugend stürmen wir ungestüm in das Leben hinaus. Wir befinden uns in
unserer expansiven Phase, das Leben als großes Abenteuer, die Welt entwickelt sich vor unseren Augen, eine
Vielzahl von Wegen und Möglichkeiten bieten sich an. Je nach Temperament und Veranlagung suchen wir uns unter der Vielzahl von
Möglichkeiten unseren Weg, der eine zurückhaltend und vorsichtig, der andere
mutig und offen für
die verschiedensten Herausforderungen. Ich selber habe mich immer in den
zweiten Typ eingeordnet, es hat mich gereizt
in die Welt hinauszugehen, mich den Herausforderungen anderer Kulturen zu
stellen, soweit das eben in der kurzen Spanne eines menschlichen Lebens möglich
war. Meine Altersklasse waren
Kriegskinder, wir haben noch die kargen
Zeiten des Krieges, und der Nachkriegszeit erlebt und die meisten haben wie ich
ohne irgendeine Rückversicherung angefangen. Ich betrachte das nicht als eine
schwierige Ausgangslage, eher als eine Herausforderung an unser Leben, es in einem schwierigem Umfeld trotzdem zu
schaffen. Als risikogeneigter Typ habe
ich immer den schwierigen Weg gewählt,
nicht den, den meine Eltern sich wünschten, die natürlich immer ihre
Kinder in abgesicherter Position,
möglichst als Beamter sehen wollten. Meine beiden Brüder sind ähnliche Wege
gegangen, jeder in seiner Art, der eine als Diplomat, immer in fernen Ländern
zuhause und dem Weg unseres Vaters folgend, der andere als
Wissenschaftler, ganz den Geheimnissen der Sprache folgend und an der
Entdeckung der tiefen Zusammenhänge unseres Lebens forschend, die sich in der
Sprache äussern. Jeder von uns hat
seinen Weg konsequent verfolgt, und ich
denke, dass im Rückblick, jeder von uns,
das was er geleistet hat selbst als gering einstuft, aber in den Augen der Welt
ein respektables Ergebnis aufweisen kann.
Und nun im Alter, ist das nun alles vorbei oder was hat sich geändert? Ab
der Mitte des Lebens realisiert der Mensch, dass die expansive Phase seines
Lebens vorüber ist. Das was sich vorher
nach Aussen gewendet hat, unsere
Lebensenergie, wendet sich nach innen.
Wenn ich früher in anderen Ländern meine Herausforderungen suchte,
andere Sprachen lernte, schwierige Projekte
zum Erfolg zu bringen suchte,
so wendete sich mein Blick nach
innen, in die Erforschung von mir selbst,
ich folge meinen Gedanken an die Grenzen des menschlichen Denkens, immer auf der Suche nach dem eigenen Selbst,
immer auf der Suche nach dem „Wer bin
ich“. Das was ich aussen geschaffen
habe behält zwar seine Bedeutung, aber
vor mir tut sich im Inneren ein neuer ungeheure Raum auf , das ganze Universum dessen, für das es keine Bezeichnung gibt und in diesen unfassbaren Räumen, die Schöpfung, das Leben selbst, das sich in allem äussert,
das Gegenständliche im Nichtgegenständlichen.
Jede Nacht, wenn die Stunde meiner Meditation naht, entlasse ich meinen
Geist in diese unfassbaren Räume, in die Stille , es ist eine Reise in das Unbekannte,
und jedes Mal habe ich auf dieser Reise andere Erlebnisse,
die mich voller Ehrfurcht das Leben betrachten lassen, die Schöpfung und mich
selbst als Teil dieser Schöpfung. Welch
wunderbare Erfahrung, und ich bin froh, dass ich sie im Alter machen durfte. Plötzlich verstehe ich die alten Lehrer der
Menschheit, verstehe, was sie uns sagen wollten, schaue voller Verwunderung auf
das, was die Menschen daraus gemacht haben.
Ich erfasse immer mehr die Evolution des menschlichen Geistes, das
langsame Erwachen unseres Bewusstseins und so wie ich mich verändere, verändert
sich auch um mich ständig die Welt. Ich
blicke aus verschieden Winkeln auf mich selbst,
da ist das, was sich nach aussen
manifestiert mein Ich , das äussere Ich,
und das ist inzwischen 75 Jahre alt
geworden und da gibt es das innere Ich, und
das empfinde ich als ewig gleich geblieben, jung wie am ersten Tag, das war schon da als ich in die Schule ging
und es ist heute unverändert da, bis zur letzten Stunde meines Lebens, mein
ewiges Ich.
Ich stehe vor einem See, ich sehe, wie sich die Oberfläche
kräuselt, es entstehen Wellen, der See
wird wieder glatt, die Abendsonne spiegelt sich in der Oberfläche, immer neue Stimmungen und Bilder. Und doch ist da in mir das Bewusstsein, die Oberfläche ist nicht der See. Unabhängig
von der Oberfläche, die mich beeindruckt, ist da die Tiefe des Wassers, die
sich nicht beeindrucken lässt, von dem, was sich auf der Oberfläche tut, ohne diese Tiefe würde es gar keine Oberfläche geben.
Und ich blicke auf meine Umwelt, auf unsere Zivilisation, so
voll von Gegenständen, Wissen, Gedanken,
Geschehnissen, alles bewegt sich auf der
Oberfläche, und ist sich nicht bewusst, dass alles nur Oberfläche ist, Oberfläche von einem Raum und einer Tiefe von
unvorstellbarer Grösse und Schönheit.
Der Raum hinter den Dingen dieser Welt, die Stille, aus der die Musik,
unsere Sprache fließt, die Tiefe, die
das Universum trägt, der Raum in dem
sich mein Mikrokosmos bewegt.
Und in tiefer Bewunderung für die Geheimnisse des Lebens
eile ich durch die Zeit, und mit Spannung erwarte ich das, was auf mich
zukommt.
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