Sonntag, 9. Juli 2023

Im Nebel

Wenn ich heute das Gedicht von Hesse lese – Im Nebel – dann verstehe ich etwas ganz anderes, als die Interpreten von Hesse, und  auch ich selbst in früheren Jahren verstanden habe. Gerade weil Hesse es in jungen Jahren geschrieben hat, erlebt er noch nicht die Ganzheit des Seins. Er befindet sich noch im Nebel seines gedanklichen Bewusstseins, das ihn getrennt von der Natur, von seinen Freunden, vom Leben und  Licht, erscheinen lässt. Die Unbeschwertheit der Jugendjahre ist von ihm abgefallen, und er sieht sich plötzlich allein mit seinen Gedanken. Er hat noch nicht erkannt, dass es seine Gedanken sind, die ihn vom Licht der Erkenntnis trennen.  Ihm geht es, wie dem grössten Teil der Menschheit, er sieht die Welt nur durch seine Sinnesorgane, die seinen Lebensweg noch in einem trügerischen Nebel verbergen. Es ist der Moment im Leben des Menschen, an dem er vor einem Scheideweg steht, ohne es zu wissen. Der eine Weg führt in die Welt, so wie sie den Sinnesorganen des Menschen begegnet, der andere Weg ist der Weg der Erkenntnis in das Begreifen,  der Weg in die Unendlichkeit des Seins.  Hesse wusste  damals auch nicht, wohin sein Lebensweg führen würde,  und das Leben erscheint bei ihm  in düsteren Worten, die noch nichts von dem erahnen lassen, was ihn später bewegt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Dieses Alleinsein ist der Hinweis auf das, was kommt, das All-Eins-Sein.  Wenn es uns gelingt die Nebel beiseitezuwischen, werden wir das Licht sehen. Die Nebel werden von unseren Sinnesorganen erzeugt, die uns eine Welt zeigen, die nicht so ist, wie sie erscheint.  Da wo wir Materie sehen, da ist Raum und Leere, und wir brauchen nur den kleinen Schritt zu tun, der uns in den Raum führt, der in uns selbst ist. Es ist dieser Raum in uns, der uns mit dem Raum verbindet, der in allem ist und das gesamte Weltall erfüllt, und der uns mit allem verbindet, was von Raum erfüllt ist. Wenn wir diesen inneren Raum betreten sind wir mit allem verbunden, mit jedem Busch, mit jedem Stein, mit dem gesamten Universum, und wir begreifen, dass wir niemals allein sind, sondern Teil von etwas viel Grösseren, Teil der gesamten Schöpfung, die sich auch in uns äussert.


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