Samstag, 6. September 2025

Rollenspiele

Ich habe schon früh über Rollenspiele nachgedacht. Bei meinen Enkeln beobachte ich, wie sie schon in frühen Jahren ihre Rollen spielen. Sie sind Kaufleute, Mütter, die sich um ihre Puppenkinder kümmern, Eheleute, die uns Erwachsene nachahmen, Gangster, Sheriff, Abenteurer, kaum etwas wird ausgelassen. Ich frage mich, woher sie diese Rollen kennen, wir Erwachsenen haben ihnen mit Sicherheit diese Rollen nicht vorgespielt. Fernsehen hat es früher nicht gegeben, und in meiner Kindheit kannten wir trotzdem diese Rollen. Kennen wir diese Rollen vielleicht aus früheren Leben?  Irgendwann übernehmen wir in unserem erwachsenen Leben eine oder mehrere dieser Rollen und identifizieren uns mit ihnen. Wir glauben, wir wären ein Professor, ein Geistlicher, ein Unternehmenslenker,  ein Schriftsteller oder ein Künstler. Spielen uns unsere Sinne da einen Streich?  Sind wir vielleicht etwas anderes als das, was uns unsere Fantasie uns als unsere Rolle vorspielt und warum glaubt unsere Umwelt, wir wären die Rolle, die wir spielen? 

Im Buddhismus gibt es die Übung, die Rolle abzustreifen, die wir glauben zu sein. Der Buddhist verlässt seine Rolle und wird ein Mönch, der durch die Strassen zieht, und mit einer Schale um Almosen oder Nahrung bittet. Ist das nicht eine wunderbare Übung, die uns auf die Essenz unseres Lebens zurückführen kann?  Ist es vielleicht nur eine Rolle, die alte Sitten und Bräuche dem Mönch gebieten?   Wir brauchen  nicht eine so radikale Übung, den Bettelmönch darzustellen, um uns auf unser Menschsein zurückzubesinnen. Es reicht, wenn wir am Abend, in der Stunde des Schlafengehens,  uns an das Bett unserer Kinder setzen, Stille eintreten  lassen, alle Rollen dieser Welt abstreifen,  auch unser Mutter- und Vatersein, und mit unseren Kindern die Welt der Träume  zu betreten, die Welt des Gebetes, und mit ihnen die Räume kennen lernen, in denen es keine Rollen mehr gibt, und wir nur  eins sind mit unseren Kindern und dem Schöpfergeist, der uns in dieser Stunde ganz nahe ist.

Bei mir sind es die Morgenstunden, wenn ich aus dem Schlaf erwache, wenn die Welt noch still ist, und vor mir der Tag mit seinen unendlichen Möglichkeiten liegt. Gerade war ich noch in der Nichtwelt, in der Welt der Träume, an die ich mich  kaum mehr erinnern kann. Wenn  die Wissenschaftler unsere Gehirnströme in der Zeit des Schlafes messen, erzählen sie uns nur einen Teil der Wahrheit, wenn sie Aktivitäten feststellen.  Im Schlaf kehren wir in unser wirkliches Leben zurück. Wir verarbeiten, was die Welt des Tages mit sich gebracht hat, und sammeln die Lebensenergie, die wir für den nächsten Tag brauchen. Im Schlaf sind alle Rollen von mir abgefallen, die der Tag vielleicht von mir verlangte.  Ich kehre in mein eigentliches Sein zurück.  Manche sagen, wir sterben einen kleinen Tod. Es ist ein kleiner Tod, wenn die Rollen sterben. Und  nichts anderes haben wir zu erwarten, wenn wir endgültig die Rollen abgeben, die diese Welt mit sich gebracht hat und in die Ebene überwechseln, in der es keine Rollen gibt,  und wir wieder in unsere wahre Gestalt erhalten.  

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