Montag, 24. April 2023

Erinnerungen 1 - Frühe Kindheit

Ich erinnere mich, wie nach einer Bombenacht 1943,  ich mit meiner Mutter aus dem Keller unseres kleinen Hauses  in Lichterfelde nach oben kam, und um uns  alle Häuser in Flammen standen. Wir kamen  in dieser Nacht nicht mehr rechtzeitig in den Bunker, weil mir schlecht war, und meine Mutter nicht mehr rechtzeitig mit mir aus dem Haus kam. In dieser Nacht war Steglitz das Ziel der Bomben. Meine Mutter, eine moderne Frau der zwanziger Jahre , Journalisten und ein Kind ihrer Zeit,  war in dieser Nacht tief religiös geworden.  Ich stelle mir vor, wie sie die ganze Nacht um unser Leben gebetet  hat. Gott hat sie erhört und sie hat das nie vergessen.

Im gleichen Jahr 1943 wurde die Familie, mein Bruder und ich, evakuiert, in die Burg Ranis in Thüringen, zu meinen Grosseltern. Mein jüngster Bruder wurde erst in Ranis geboren. In der Burg war auch die Verwaltung des Roten Kreuzes ausgelagert. Eines Morgens ging ich über den Hof und wurde von einem dicken Mann angeschrien, warum wir nicht ordentlich grüssten. Gemeint war der Hitlergruss, den mir noch niemand beigebracht hatte. Ich danke meinen Eltern noch heute dafür. Ich erfuhr später, dass der dicke Mann der Präsident des Roten Kreuzes war.

Meine Grosseltern  hatten bis zum Krieg auf der Burg einen Bärenzwinger, mit zwei Bären, Iwan und Paula. Die Bären mussten mit Beginn der Nahrungsrationierung getötet werden und die Felle lagen im Wohnzimmer der Grosseltern. Immer wenn meine Mutter uns drei Jungens nicht mehr im Zaum halten konnte, lieferte sie meinen Bruder Arnim und mich bei meiner Grossmutter ab, die uns dann, jeden auf ein Bärenfell setzte und Iwan und Paula auf uns aufpassen liess. Wir hatten grossen Respekt vor den Bärenköpfen,  die auch als Präparat ihre mächtigen Zähne zeigten. Wir trauten uns nicht, die Anordnung unserer Grossmutter zu missachten.

Nach dem Einmarsch der Russen in Thüringen  1945 zogen wir in ein kleines Dorf in der Nähe, nach Drognitz, wo  die Schwester meines Vaters mit ihrem Mann eine Arztpraxis betrieben. Meine Mutter  liess meinen Bruder Arnim und mich bei meinen Grosseltern und war mit den abrückenden US Truppen, zusammen mit meinem kleinen Bruder Andreas in den Westen geflohen. Wir wohnten mit den Grosseltern  im Dach eines Bauernhauses. Wir hatten ständig Hunger, weil wir keine Wertsachen  zum Tausch gegen Nahrungsmittel hatten, und meine Grosseltern malten für die Bauern Bilder, meine Grossmutter,als ausgebildete Portraitmalerin, die Kinder der Bauern,  mein Grossvater Aquarelle der Höfe. Es reichte kaum zum Überleben und oft gingen wir über die Felder und sammelten Brennnesseln und Sauerampfer oder noch einige vergessene Kartoffeln von den Äckern. Ich kann mich erinnern, wie ich als 6 – Jähriger um die Bauernhäuser schlich und darauf wartete, dass die Bäuerin aus der Küche kam und ich ungesehen hineinkommen konnte um ein Stück Brot zu finden.  Abends gingen wir zu den russischen Truppen, die dort lagerten, die gaben uns verhungerten Kindern immer etwas aus ihrer Gulaschkanone ab.  Es war das Jahr 1946, mit dem berühmten Hungerwinter. Ich lernte den Hunger und die Hartherzigkeit der Menschen kennen.

1946 bekam ich Diphterie, eigentlich ein Todesurteil in der damaligen Zeit. Ich erinnere mich noch heute an mein langsames Ersticken und wie ich bereits einen Tunnel betrat an dessen Ende ich das Licht sehen konnte.  Onkel Wilhelm Meier rettete mein Leben, weil er im Krankenhaus Pössneck noch eine Impfdosis  ausfindig macht und mit mir, in einer eisigen Winternacht, auf dem Motorrad dorthin fuhr und mir in letzter Minute die rettende Spritze geben konnte. Mir ist klar, an welch seidenem Faden unser Leben damals ständig hing.

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