Ich erinnere mich, wie nach einer Bombenacht 1943, ich mit meiner Mutter aus dem Keller unseres
kleinen Hauses in Lichterfelde nach oben
kam, und um uns alle Häuser in Flammen
standen. Wir kamen in dieser Nacht nicht
mehr rechtzeitig in den Bunker, weil mir schlecht war, und meine Mutter nicht
mehr rechtzeitig mit mir aus dem Haus kam. In dieser Nacht war Steglitz das
Ziel der Bomben. Meine Mutter, eine moderne Frau der zwanziger Jahre , Journalisten
und ein Kind ihrer Zeit, war in dieser
Nacht tief religiös geworden. Ich stelle
mir vor, wie sie die ganze Nacht um unser Leben gebetet hat. Gott hat sie erhört und sie hat das nie
vergessen.
Im gleichen Jahr 1943 wurde die Familie, mein Bruder und ich,
evakuiert, in die Burg Ranis in Thüringen, zu meinen Grosseltern. Mein jüngster
Bruder wurde erst in Ranis geboren. In der Burg war auch die Verwaltung des
Roten Kreuzes ausgelagert. Eines Morgens ging ich über den Hof und wurde von
einem dicken Mann angeschrien, warum wir nicht ordentlich grüssten. Gemeint war
der Hitlergruss, den mir noch niemand beigebracht hatte. Ich danke meinen
Eltern noch heute dafür. Ich erfuhr später, dass der dicke Mann der Präsident
des Roten Kreuzes war.
Meine Grosseltern
hatten bis zum Krieg auf der Burg einen Bärenzwinger, mit zwei Bären,
Iwan und Paula. Die Bären mussten mit Beginn der Nahrungsrationierung getötet
werden und die Felle lagen im Wohnzimmer der Grosseltern. Immer wenn meine
Mutter uns drei Jungens nicht mehr im Zaum halten konnte, lieferte sie meinen
Bruder Arnim und mich bei meiner Grossmutter ab, die uns dann, jeden auf ein
Bärenfell setzte und Iwan und Paula auf uns aufpassen liess. Wir hatten grossen
Respekt vor den Bärenköpfen, die auch
als Präparat ihre mächtigen Zähne zeigten. Wir trauten uns nicht, die Anordnung
unserer Grossmutter zu missachten.
Nach dem Einmarsch der Russen in Thüringen 1945 zogen wir in ein kleines Dorf in der
Nähe, nach Drognitz, wo die Schwester
meines Vaters mit ihrem Mann eine Arztpraxis betrieben. Meine Mutter liess meinen Bruder Arnim und mich bei meinen
Grosseltern und war mit den abrückenden US Truppen, zusammen mit meinem kleinen
Bruder Andreas in den Westen geflohen. Wir wohnten mit den Grosseltern im Dach eines Bauernhauses. Wir hatten
ständig Hunger, weil wir keine Wertsachen
zum Tausch gegen Nahrungsmittel hatten, und meine Grosseltern malten für
die Bauern Bilder, meine Grossmutter,als ausgebildete Portraitmalerin, die
Kinder der Bauern, mein Grossvater
Aquarelle der Höfe. Es reichte kaum zum Überleben und oft gingen wir über die
Felder und sammelten Brennnesseln und Sauerampfer oder noch einige vergessene
Kartoffeln von den Äckern. Ich kann mich erinnern, wie ich als 6 – Jähriger um
die Bauernhäuser schlich und darauf wartete, dass die Bäuerin aus der Küche kam
und ich ungesehen hineinkommen konnte um ein Stück Brot zu finden. Abends gingen wir zu den russischen Truppen,
die dort lagerten, die gaben uns verhungerten Kindern immer etwas aus ihrer
Gulaschkanone ab. Es war das Jahr 1946,
mit dem berühmten Hungerwinter. Ich lernte den Hunger und die Hartherzigkeit
der Menschen kennen.
1946 bekam ich Diphterie, eigentlich ein Todesurteil in der
damaligen Zeit. Ich erinnere mich noch heute an mein langsames Ersticken und
wie ich bereits einen Tunnel betrat an dessen Ende ich das Licht sehen konnte. Onkel Wilhelm Meier rettete mein Leben, weil
er im Krankenhaus Pössneck noch eine Impfdosis ausfindig macht und mit mir, in einer eisigen
Winternacht, auf dem Motorrad dorthin fuhr und mir in letzter Minute die
rettende Spritze geben konnte. Mir ist klar, an welch seidenem Faden unser
Leben damals ständig hing.
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