Sonntag, 30. April 2023

Erinnerungen 2 - Der Vater -

Meine Eltern sind 1902 und 1903 geboren.  Meine Grossmutter war emanzipiert  und es gelang ihr schon in ihrer Jugend in die Kunstakademie in Berlin aufgenommen zu werden, obwohl im 19.Jahrhundert Frauen noch keine Rechte hatten. Die erste Ehe mit meinem Grossvater Carl war noch von den Eltern gestiftet und hielt nur kurz. Sie nahm meinen Vater in ihre 2. Ehe mit und mein Vater erfuhr  erst mit 16 Jahren, dass er einen anderen Vater als seinen Stiefvater hatte. Bis dahin war er in dem Glauben aufgewachsen, er gehörte zur Familie v. Breitenbuch. Es war naiv von seiner Mutter zu glauben, sie täten ihm damit einen Gefallen. Er verlor von einem Tag zum  anderen seine Identität, er fühlte sich ausgestossen,  seinem Leben war das Fundament der Familie entzogen worden. Sein ganzes späteres  Leben wollte er ein Breitenbuch  sein. Als der 1. Weltkrieg zu Ende ging war mein Vater 16 Jahre alt. Seine Eltern waren mittellos, das Vermögen meiner Grossmutter war in Kriegsanleihen angelegt und damit wertlos. Von der kleinen Pension des Stiefvaters konnte die Familie nicht leben. Mein Vater wurde  nach Berlin zu seiner Grossmutter Rassmus geschickt, die durch ihren Immobilienbesitz noch immer wohlhabend war. Sie wurde nach dem Krieg seine Bezugsperson. Er studierte Jura und trat nach dem Studium in das Auswärtige Amt ein, wo er bald der Lieblingsattachè von Stresemann wurde. Er erlebte den Zusammenbruch der alten Ordnung und den Beginn einer neuen Zeit mit neuen Werten in Berlin. Er genoss die neuen Freiheiten der zwanziger Jahre, wo er auch meine Mutter kennenlernte. Es war wahrscheinlich die beste Zeit in seinem Leben. Aus seinen Tagebüchern wissen wir, dass er tief besorgt über das Aufkommen des  Faschismus war. Mit vielen seiner Kollegen und Freunde im AA war er der Meinung, dass weder Kommunismus noch Nationalsozialismus eine Lösung für Deutschland wären. Nach Auslandsaufenthalten in Ägypten und Australien als Konsul, kam er 1938 nach Berlin zurück. Er heiratete meine Mutter, die er seit den zwanziger Jahren liebte, trotz Heiratsverbot  des AA. Als Beamter durfte er nicht eine Frau einer anderen Rasse heiraten. Damit  war seine Karriere  im Amt beendet,  er war ins Visier der Machthaber geraten.  Während des Krieges wurde er als unzuverlässig degradiert und auf der untersten Laufbahn als Kurier eingesetzt, der die Diplomatenpost in den besetzten Gebieten, per Bahn durch Europa beförderte. Als der Krieg ausbrach war er, mit vielen seiner Kollegen im AA der Auffassung, dass der Krieg trotz der Anfangserfolgen, bereits verloren war.  Nach dem Krieg war er einer der ersten Beamten, die 1950 in das neu gegründete Auswärtige Amt in Bonn, in den höheren Dienst übernommen wurde. Er war noch  auf Posten in Mailand, Kopenhagen und Manila. - Als Mensch war er durch seinen familiären Identitätsverlust geprägt. Erst durch seine Ehe fand er eine neue Identität. Mit meiner Mutter gründete er seine eigene Familie, und seine Familie wurde der Mittelpunkt seines Lebens.  Orientierungspunkt seines Lebens war fortan seine Frau, die er tief liebte.  Er war ein grundgütiger Mensch, anständig und loyal, bescheiden, von der Gesinnung deutschnational und litt unter den furchtbaren Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft.  Er war ein geistig interessierter Mensch,  seine Liebe galt der Kunsthistorie und wir Kinder lernten schon in frühen Jahren viele Jahrhunderte von Kulturen kennen und besuchten die historische Stätten und Museen in Italien, wo wir seit 1950  lebten.  Seine Gesundheit war immer fragil, weil er als starker Raucher, schon früh Probleme mit dem Kreislauf und Herzen bekam. Er war uns Kindern immer ein guter und sorgender Vater, aber für die Familie war unsere Mutter das Herz und der Mittelpunkt der Familie. 

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