Donnerstag, 8. Juni 2023

Unsere wichtigste Beziehung

Wenn  wir in den Spiegel sehen, dann scheint  hier eine Person zu sein, der Beobachter,  und im Spiegel ein anderer Gegenüber.  Was wir sehen stellt uns oft nicht zufrieden.  Die Person die wir sehen ist zu dick oder zu dünn,  zu jung oder zu alt, ein ganzer Katalog von Beanstandungen, die eine ganze Schönheitsindustrie ernähren. Es scheint zwei Personen zu geben, die eine Person, die beobachtet, und die andere Person, die beanstandet wird. Das geht oft viel weiter als nur auf das äussere Erscheinungsbild, auch die soziale Stellung, die berufliche Entwicklung, alles kann Gegenstand der Unzufriedenheit des Betrachters sein. Die Beziehung zwischen Betrachter und der im Spiegel beobachteten Person scheint gestört und gibt Anlass zur Unzufriedenheit. Es scheint fast als ob der Beobachter und die beobachtete Person zwar miteinander in Beziehung stehen, aber die Vorstellung voneinander so unterschiedlich sind, dass man fast meint zwei Personen vor sich zu haben. Ideal wäre es natürlich, wenn die zwei Sichtweisen, das Idealbild und das realistische Bild, zusammengeführt werden könnten, und zu einem verschmelzen würden. Solange wir die zwei Personen sehen, werden wir in unserer Beziehung zu uns selbst nie glücklich sein. Es ist gerade diese Beziehung zu uns selbst, die entscheidend für unser Leben ist. Nehmen wir den Fall einer Frau, die von der Natur mit den vielfältigsten Begabungen ausgestattet ist – Intelligenz, Schönheit, innere Stärke, Charakter, vielfältige Begabungen, und die Natur hat ihr im Laufe des Lebens einige Pfunde zu viel  geschenkt. Sie wird blind für alle ihre anderen Geschenke, sie sieht nur noch das Bild im Spiegel, das sie unglücklich macht. Sie vergisst, dass der Spiegel ihr nur die Oberfläche zeigen kann, nicht aber die Realität ihres Seins, ihre innere Tiefe, die Geschenke, die ihr das Leben gemacht hat, sie ist verzweifelt, weil  sie glaubt, dass sie die Person im Spiegel sei und vergisst, dass sie auf ihr Trugbild schaut. Die imaginäre Spiegelperson lähmt den Menschen, in seiner Verzweiflung werden zwei Menschen geschaffen, und der imaginäre Mensch verdeckt den wirklichen Menschen, unsere dunkle Seite scheint gesiegt zu haben. Nur der Mensch kennt die Aufspaltung seiner Person in die Zweiheit, in den Menschen der an sein Spiegelbild glaubt und den Menschen, der darüber sein Gesamtsein übersieht.  Keine Pflanze, kein Tier und kein Stein haben dieses gespaltene Bewusstsein; sie erwachen,  wachsen blühen und vergehen, sie haben keinen Zweifel an ihrer Existenz und wenn sie gehen, dann gehen sie in Würde. Nur dem Menschen ist es vorbehalten, in den Zweifel hineingeboren zu werden,  und sein Weg scheint darin zu liegen, aus seiner imaginären Welt, zurück zu finden, in sein eigentliches Ich. Es scheint nur einen Weg aus der Verzweiflung zu geben, die Akzeptanz dessen was ist. Sich so anzunehmen, wie wir geschaffen sind, und nicht unser mentales Spiegelbild die Herrschaft über uns ausüben zu lassen. Wir müssen uns daran erinnern, dass uns die Sinne nur unsere Oberfläche zeigen, und hinter der Oberfläche die ganze Tiefe unseres Seins auf seine Entdeckung wartet.  So ist die wichtigste Beziehung, die unser Leben bestimmt, die Beziehung zu uns selbst: nur wenn wir das Trugbild durchschauen, das uns unsere Sinne zeigen, überwinden wir die Oberfläche unseres Menschseins und erfahren die ganze Tiefe, die sich hinter unserer Oberfläche verbirgt.  Aus den zwei Menschen, wird wieder der eine ganze Mensch, so wie die Natur ihn gewollt hat.

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