Mittwoch, 31. Oktober 2018

Erinnerungen


Wenn ich heute auf einem Geburtstag meiner Altersgenossen Reden höre,  so beschäftigen diese sich hauptsächlich mit den Stationen des Lebensweges, die der Jubilar erlebt hat. Auffällig ist, dass es immer um den äusseren Weg geht, um  die Geschichte des Lebens. Auch sind die Erinnerungen genau so unterschiedlich, wie diejenigen Personen , die ihre Erinnerungen schildern.  Der Jubilar spricht über sein Leben, vielleicht auch seine Ehefrau, Kinder und Freunde – und jeder erzählt eine andere Geschichte. Der Blick in die Vergangenheit scheint bei jedem Sprecher andere Erinnerungen hervorzurufen. Welche der verschiedenen Geschichten kommt nun der Wahrheit am nächsten?  Erinnerungen sind in unserem Gehirn abgespeicherte Gedanken, sie sind also ein Ausfluss unserer Gedankenwelt.  So verschieden die Menschen und deren Gedankenwelten sind, so unterschiedlich sind die Erinnerungen an das gleiche Erlebnis.  Keiner sieht das  Gleiche, und keiner erlebt den gleichen Moment gleich. Eine objektive Wahrheit ist aus diesen gespeicherten Gedanken nicht zu ermitteln, allenfalls eine angenäherte Wahrheit.  Das Wort erleben weist schon darauf hin, dass wir das Leben nicht in einer Schau in die Vergangenheit erfassen können, sondern nur in der Gegenwart, in diesem Moment, und jeder nur in der Beziehung, wie er diesen Moment erlebt.  Erinnerungen sind nur Gedankenkonstrukte, sie können  das Erleben nicht konservieren, sie sind nur noch der Schatten von dem was einmal die Gegenwart war.  Wenn wir uns schon bei einem einzelnen Menschenschicksal schwer tun, eine objektive Erinnerung festzuhalten, dann erst recht  bei der  Geschichtsschreibung , wo ganze Völker und  hunderte von Wissenschaftlern ihre jeweilige Sichtsweise schildern und keine dieser Schilderungen einen Anspruch auf Objektivität erheben kann.

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