Wenn ich heute auf einem Geburtstag meiner Altersgenossen
Reden höre, so beschäftigen diese sich
hauptsächlich mit den Stationen des Lebensweges, die der Jubilar erlebt hat.
Auffällig ist, dass es immer um den äusseren Weg geht, um die Geschichte des Lebens. Auch sind die
Erinnerungen genau so unterschiedlich, wie diejenigen Personen , die ihre
Erinnerungen schildern. Der Jubilar
spricht über sein Leben, vielleicht auch seine Ehefrau, Kinder und Freunde –
und jeder erzählt eine andere Geschichte. Der Blick in die Vergangenheit
scheint bei jedem Sprecher andere Erinnerungen hervorzurufen. Welche der verschiedenen
Geschichten kommt nun der Wahrheit am nächsten? Erinnerungen sind in unserem Gehirn
abgespeicherte Gedanken, sie sind also ein Ausfluss unserer Gedankenwelt. So verschieden die Menschen und deren
Gedankenwelten sind, so unterschiedlich sind die Erinnerungen an das gleiche
Erlebnis. Keiner sieht das Gleiche, und keiner erlebt den gleichen Moment
gleich. Eine objektive Wahrheit ist aus diesen gespeicherten Gedanken nicht zu
ermitteln, allenfalls eine angenäherte Wahrheit. Das Wort erleben
weist schon darauf hin, dass wir das Leben nicht in einer Schau in die
Vergangenheit erfassen können, sondern nur in der Gegenwart, in diesem Moment,
und jeder nur in der Beziehung, wie er diesen Moment erlebt. Erinnerungen sind nur Gedankenkonstrukte, sie
können das Erleben nicht konservieren,
sie sind nur noch der Schatten von dem was einmal die Gegenwart war. Wenn
wir uns schon bei einem einzelnen Menschenschicksal schwer tun, eine objektive
Erinnerung festzuhalten, dann erst recht
bei der Geschichtsschreibung , wo
ganze Völker und hunderte von Wissenschaftlern
ihre jeweilige Sichtsweise schildern und keine dieser Schilderungen einen
Anspruch auf Objektivität erheben kann.
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