Montag, 2. Mai 2022

Lieb Heimatland

Ich versuche mir die Frage zu beantworten, wo mein Heimatland ist? Vielleicht dort, wo ich geboren wurde, in Berlin, wo auch schon mein Vater geboren wurde und wo die Familie im Havelland seit Jahrhunderten zu Hause ist?  Ist es das, was wir unser Vaterland nennen,  wenn  nach zwei Weltkriegen der Begriff  Vaterland  nicht restlos verbraucht  ist?  Hat Heimat etwas mit dem Volk zu tun, zu dem ich gehöre und zu welchem Volk gehöre ich?  Ist das Wort «Volk»  nicht mit einem üblen Nachhall verbunden, es fehlt nur noch wes Blutes ich bin?  Meine Urgrossmutter war eine Polin und heiratete meinen Urgrossvater in Posen, das damals zu Preussen gehörte. Sie hat sich bestimmt als Polin gefühlt, aber sicher auch nicht in Frage gestellt, dass sie preussische Staatsangehörige war. Meine Mutter war  bei ihrer Geburt in der Nähe von Lemberg Österreicherin und ab 1918 ,als der 1. Weltkrieg verloren war, Polin, mit polnischem Pass, denn die die Provinz  Galizien  war von Polen besetzt worden. Ihre Muttersprache war ukrainisch, als was fühlte sie sich? Wenn wir sie fragten, welche Nationalität sie hätte, erwarteten wir, als Ukrainerin. -  Natürlich  fühle ich mich als Deutsche, antwortete sie, sie hatte keine andere Sprache mehr als Deutsch seit ihrem 20. Lebensjahr   gesprochen. Ihr Vater hatte sie, als österreichischer Gymnasiallehrer,  nach Deutschland zum Studieren geschickt und  seitdem hat sie nur noch deutsch  gesprochen, gedacht und als Journalistin für den Deutschen Verlag in  Deutsch geschrieben. Selbst ihre privaten Tagebücher, die ich nach ihrem Tod gelesen habe, sind in Deutsch verfasst.  Wenn ich sie aber nach ihrer Heimat gefragt hätte, dann wäre sie wehmütig geworden und hätte an ihren Geburtsort Tysmenycja in Galizien  gedacht, wo ihre Eltern begraben liegen. - Wo fühle ich mich nun zu Hause, wo ist meine Heimat?  Wurzeln konnte ich nirgends schlagen. In meinem Geburtsort Berlin war ich nur als Kleinkind, und später einige Jahre in meinem Berufsleben. Meine Kindheit und Jugend habe ich in Holstein, Bonn, Mailand und Kopenhagen verbracht. Mein Vater wurde als Diplomat ständig versetzt.  Studium und Examen in Bonn und München. Und dann 50 Jahre Frankfurt.  Mein Beruf führte mich aus Frankfurt  in die ganze Welt, 20 Jahre Griechenland, 50 Jahre Spanien, 20 Jahre Brasilien. Überall wohin ich kam lernte ich die Sprachen, übte berufliche Tätigkeiten aus, überall fühlte ich mich wohl, überall konnte ich meine beruflichen Ziele erreichen, und ich fühlte mich auch im Ausland  wie zu Hause. – Meinen klugen Bruder Arnim habe ich gefragt, als was er sich fühle.  Er ist einer der wichtigen  Sprachwissenschaftler unserer Zeit, und ich fragte ihn wo denn sein Zuhause sei, in Tübingen, wo er seinen grössten wissenschaftlichen Erfolg  hatte, oder in Konstanz, wo seine Familie lebt? –  Er war ganz eindeutig, wir sind dort zu Hause wo wir in unsere Muttersprache sprechen.  Ich schliesse mich seiner Meinung an, nur in unserer Muttersprache  dringen wir tief in unsere Kultur ein, in unsere Dichtung, unsere Literatur. Natürlich können wir auch in anderen Sprachen lesen, verstehen und lernen, aber die Schönheit der Dichtung, der Worte, der Lieder, können wir nur in unserer Muttersprache erfassen. – Zu Hause ist für mich, wo ich gerade bin.  Das kann überall in der Welt sein, überall dort, wo ich mich aufhalte.  Als  Nationalität sehe ich  mich mehr als Europäer, denn als Deutscher,  aber mein Heimatland  ist meine deutsche Sprache, in meiner Sprache finde ich meine Identität und mein Zuhause. Meine Sprache ist  Deutsch, und daher bin ich ein Deutscher.

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