Mittwoch, 14. September 2022

Der Verlust der Mitte

In einem Gedicht «Wer je die Flamme umschritt» beschreibt Stefan George das Gesetz der Mitte, solange wir die Flamme des Lebens sehen können, entfernen wir uns nie zu weit vom Leben. Leider ist in den westlichen Zivilisationen weitgehend der Verlust der Mitte eingetreten, wir haben uns dem fremden Schimmer unserer Gedanken anvertraut und die Verbindung zu unserem  eigentlichen Sein, unserem Leben verloren. Wir streben nach Wissen, nach Besitz, nach Macht und Position und vergessen was uns eigentlich ausmacht, unser Leben.  Solange wir Geschichtsschreibung haben, ist es immer das Gleiche geblieben, wir sorgen uns um Güter, um das Morgen, und vergessen darüber unser eigentliches Leben, unser Jetzt,  wir verlieren unsere Mitte, wir sehen nicht mehr die Flamme  in uns, die uns leitet, unser Blick ist nach aussen gerichtet, auf die Welt, und wir vergessen, dass viel wichtiger unser Innen ist, unser Sein, unser Leben, unsere Schöpfernatur. Unsere heutige Welt hat weitgehend die Verbindung zu ihrem Inneren verloren, und mit dem Verlust dieser Verbindung vergessen wir langsam, wer wir wirklich sind.  Wir treiben in die Welt hinaus, wir begreifen die Welt nicht mehr als einen Teil der Schöpfung, als ein Teil von uns selbst, sondern als eine Sache, als ein Ding, das wir nur noch benutzen . Wir schneiden uns ab von unseren Wurzeln, die uns nähren, wir sind die verdorrte Traube am Weinstock, der uns keine Nahrung mehr zuführt.  Die Welt, die uns heute Sorgen macht, mit ihrer Verschmutzung, mit ihrem Klimawandel, ist nur ein Spiegelbild von uns selbst, eine vertrocknete Innenlandschaft, fast mehr ohne Leben. So sieht es in der Mehrheit der Menschheit aus, sie  sehen die Flamme in ihrem Inneren nicht mehr, sie sind tot , bevor sie gestorben sind,  und so sehen sie auch die Welt als etwas Totes, zu dem keine Verbindung mehr besteht, wie innen, so aussen. – Wen kann es verwundern, dass die Rettung des Planeten kaum gelingen kann, weil wir uns selbst nicht mehr retten können, weil  wir den Blick für unsere innere Welt verloren haben, sie vergessen haben und wie gespannt auf eine Welt blicken, die uns nur ein totes Wesen ist, das  wir nicht mehr als den Weinstock wahrhaben wollen, der uns ernährt.  So wie die Mehrheit der Menschheit den Blick nach innen verloren hat,  das Licht des Lebens nicht mehr wahrnimmt, das in uns brennt, sieht sie auch die Welt mit toten Augen und sieht nicht, das Leben und die Tiefe und die Gesamtheit und Vollendung der Schöpfung, den lebenden Organismus, der sie umgibt, schützt, ernährt und trägt.   Wenn wir die Welt und unser Leben wirklich retten wollen, müssen wir bei uns selbst beginnen, jeden Tag der Flamme in uns neue Nahrung geben, uns als Teil eines einzigen grossen Organismus begreifen, der ernährt werden will,  ernährt durch jeden einzelnen von uns, der sich wieder als Teil des Lebens begreift, das alles erfüllt.  Wir müssen bei uns selbst beginnen, jeden Tag  in unser Innerstes blicken, in unsere Mitte, in die Flamme unseres Lebens,  und das Feuer des Lebens in alles tragen, das mit uns in Berührung kommt. Die Rettung der Welt kann gelingen, wenn jeder  seine eigene Mitte wieder findet und dazu beiträgt, die Welt als das zu sehen, was sie ist, ein grosser Gesamtorganismus, deren Teil wir sind.   

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