Sonntag, 6. November 2022

Horchen und Hören

In der benediktinischen Ordensregel ist das Horchen eine der wichtigsten Vorschriften. Das Horchen ist die Vorstufe zum Hören, ich versuche etwas zu hören, was ich noch nicht hören kann. Gemeint ist nicht, das was die Welt unter hören versteht, es ist nicht die Musik, die ohne Unterlass aus den Ohrstöpseln dröhnt, die so viele Menschen heute tragen, nicht die Geräusche der Fernseher, die Tag und Nacht laufen. Es sind auch nicht die Gedanken im Kopf, die, ohne Laute, sich von früh bis spät in unserem Kopf bewegen. Dieses Hören, ist nicht gemeint. - Wir müssen nicht in ein Kloster eintreten, um das Horchen zu erlernen. Es reicht, wenn wir in die Natur gehen und  den Tönen der Natur lauschen, dem Rauschen des Windes in den Blättern, dem Zwitschern der Vögel, und wenn es gelingt, die Stimme in unserem Kopf zum Schweigen zu bringen, die, mit ihren unablässigen Gedankenströmen, das wirkliche Hören verstellt,  fangen  wir an, die leisen Töne zu hören. Wir müssen das Horchen wieder erlernen, erst die sanften feinen Töne der Natur und am Ende, das Horchen auf die Stille.-  Die Mönche in früheren Jahrhunderten haben die Litanei benutzt, die ewige Wiederholung von Worten und Gesängen, um die Welt der Gedanken zum Stillstand zu bringen. Ob das der richtige Weg war, wissen wir nicht – eins wissen wir, am Ende sollte die Stille stehen, die Stille in der Klosterzelle, in die sich der Mönch zurückzog, die Stille im Kopf, wenn die Töne verklungen waren. - Heute suchen wir die Stille in der Natur, in der Meditation, in Yogaübungen, in denen wir die Gedanken abschalten und uns auf unser Tun konzentrieren. Der Mensch scheint intuitiv zu wissen, dass die Stille zum Wertvollsten gehört, das wir besitzen. Und wir horchen, nicht um Töne zu hören, sondern um Stille zu hören. Wieder eine dieser paradoxen Wahrheiten, die unser Leben begleiten.  -Stille enthält  jeden Ton, jedes Wort, jede Weisheit, -  alles kommt aus der Stille, wird zu Energie und Leben und kehrt in die Stille zurück. - Die Buddhisten  verwenden die Klangschale, der Ton erklingt und kehrt in die Stille zurück. Ein wunderbares Symbol für das Leben, das aus dem Raum und der Stille entsteht, anschwillt und  vom ewigen Raum wieder zurückgenommen wird. Wenn wir lernen wollen zu hören, dann sollten wir uns vielleicht eine Klangschale besorgen. Sie zeigt uns im Klang,  wie  Leben entsteht und vergeht. Sie zeigt uns das Ziel des Horchens,  das Horchen auf die Stille - und wenn die Stille eintritt, dann hören wir die ewigen Wahrheiten  des Lebens: -   Es ist die Stille, aus  der Gott spricht und der ewige Raum aus dem Leben entsteht.

Ich schreibe dies in ersten Stunden des Tages, die Morgenröte kündet den Tag,  vor mir liegt das Meer und ich höre das sanfte Rauschen der Wellen. Ich kann mir keinen besseren Platz vorstellen, für meine morgendliche Meditation. Die Stille ist hier ganz nahe – ich kann sie hören.


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