Ich stelle mir vor, ich sollte eine Grabrede halten. Früher habe ich auf Goethe zurückgegriffen, -
auf den «Prometheus», wenn ich über die jungen Jahre etwas sagen wollte, - auf die
«Grenzen der Menschheit», wenn ich über das Alter sprach. Heute würde ich am liebsten über unser
zeitloses und formloses Sein etwas sagen. Über die Relativität von Zeit, die
manchmal eine Ewigkeit dauert, aber manchmal, wie in dem Psalm, nur wie ein Tag
erscheint, am Morgen sind wir noch jung und frisch und am Abend bereits alt und
verdorrt. Wir messen unser Leben in Tagen und Jahren, und manchmal eilen die
Jahre so schnell dahin, als flögen sie davon. Wir glauben, unser Leben hätte
einen besonderen Wert gehabt, wenn es viel Mühe und Arbeit gewesen war. Und
wenn wir vieles vollbracht haben und der Nachwelt unsere Güter und Gedanken
hinterlassen können, dann denken wir, die
Menschen würden uns nicht vergessen.- Heute im Alter,
denke ich ganz anders über die Zeit. Mir ist die Relativität der Zeit bewusst. Die Erscheinungsformen der gesamten
Schöpfung, einschliesslich unseres Planeten sind zeitlos, weil sie aus Energie
bestehen und Energie sich nur verändert, nicht aber vergeht, nicht stirbt. Auch der Mensch ist in seiner physischen Form
Energie , und seine Auflösung bedeutet nur Wandlung und Veränderung der
energetischen Erscheinung . Die alten Legenden von Tod und Wiederauferstehung
sind aktuell und lebendig. Unser heutiges Wissen bestätigt unsere alten
Überlieferungen. Nichts was Teil der Schöpfung ist, vergeht und verschwindet,
es ändert nur seine Erscheinungsform. –
Mit der Weisheit des Alters wird uns bewusst, dass die
Wahrnehmung unserer Erscheinungsform weitgehend auf Illusion beruht, auf einer
Täuschung unserer sinnlichen Wahrnehmung. Wir entdecken in uns die
Energieströme, die unseren Körper durchfliessen und wenn wir uns unseren
Energieströmen anvertrauen, dann stossen wir bis an die Quelle vor, dem Ursprung allen Lebens, die wir nicht an
einem fernen Ort finden, sondern nur in uns selbst.- Die gesamte Natur scheint äusserlich ständig
zu entstehen und zu vergehen, und wir als Mensch, sind Teil dieser Natur, wir
entstehen und vergehen, aber das was uns ausmacht, der Raum, in dem sich Leben und
Intelligenz entfalten, werden nicht von Tod und äusserlicher Veränderung
berührt, sie waren immer, sie werden immer sein. Das was
die Formen erschafft, Energie und Leben,
sind unvergänglich. Und wenn wir sterben, und
unsere Form sich auflöst ist doch unser Leben
noch mitten unter uns, die Anderen können es spüren, denn sie sind Teil
des gleichen Lebens, noch gefangen in ihrer physischen Existenz und doch auch zu Hause,
dort wo sie und wir immer waren.
Wenn wir glauben, mit unserem Tod sei unsere Existenz beendet, dann ist das Gegenteil der Fall. Wir erwachen im Sterben aus einem Traum, aus einem Traum von Zeit, Form und Vergänglichkeit. Wo wir blind waren, werden wir sehend. Wir werden wieder Teil der uns umfassenden Intelligenz, aus der wir uns solange getrennt waren, wir werden wieder Teil des Schöpfergeistes, den wir solange nicht wahrnehmen konnten. Stille erfüllt uns im Tod, und in der Stille erleben wir jeden Ton und jedes Wort, das je aus der Stille gekommen ist und wir sehen wie die Form in uns vergeht. Wir sind wieder in die zeitlosen Gegenwart der Schöpfung eingetreten, sind Teil der Schöpfung und Teil des Alles, und auch Teil des Nichts, sind in unsere eigentliche Heimat, sind an die Quelle allen Lebens, an unseren Ursprung zurückgekehrt. In uns leuchtet die Erkenntnis auf, wir haben unsere eigentliche Heimat nie verlassen, wir hatten nur einen kurzen Traum von Welt und Zeit. Und dieser Traum ist der ewigen Wahrheit gewichen. Wir sind nicht gestorben, wir sind erwacht. Wenn wir erwachen, erkennen wir, dass der Tod Leben bedeutet und das, was oft als Leben gedeutet wird, eher oft dem Tod ähnelt, dann wenn die Menschen die Verbindung mit dem verloren haben, was sie ausmacht, die Verbindung mit dem Leben. Das grosse Geheimnis des Todes ist die Geburt des Lebens, denn das Leben ist unsterblich und wenn unsere Form stirbt, erwacht der Mensch zum Leben, denn er ist in sein Vaterhaus zurückgekehrt.
(Gedanken zum 10. Todestages meine Bruders Andreas)
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