Donnerstag, 16. November 2023

Was ich noch sagen wollte

Ich stelle mir vor, ich sollte eine Grabrede halten.  Früher habe ich auf Goethe zurückgegriffen, - auf den «Prometheus», wenn ich über die jungen Jahre etwas sagen wollte, - auf die «Grenzen der Menschheit», wenn ich über das Alter sprach.  Heute würde ich am liebsten über unser zeitloses und formloses Sein etwas sagen. Über die Relativität von Zeit, die manchmal eine Ewigkeit dauert, aber manchmal, wie in dem Psalm, nur wie ein Tag erscheint, am Morgen sind wir noch jung und frisch und am Abend bereits alt und verdorrt. Wir messen unser Leben in Tagen und Jahren, und manchmal eilen die Jahre so schnell dahin, als flögen sie davon. Wir glauben, unser Leben hätte einen besonderen Wert gehabt, wenn es viel Mühe und Arbeit gewesen war. Und wenn wir vieles vollbracht haben und der Nachwelt unsere Güter und Gedanken hinterlassen können, dann  denken wir, die Menschen würden uns nicht vergessen.- Heute im   Alter, denke ich ganz anders über die Zeit. Mir ist die Relativität der Zeit bewusst.  Die Erscheinungsformen der gesamten Schöpfung, einschliesslich unseres Planeten sind zeitlos, weil sie aus Energie bestehen und Energie sich nur verändert, nicht aber vergeht, nicht stirbt.  Auch der Mensch ist in seiner physischen Form Energie , und seine Auflösung bedeutet nur Wandlung und Veränderung der energetischen Erscheinung . Die alten Legenden von Tod und Wiederauferstehung sind aktuell und lebendig. Unser heutiges Wissen bestätigt unsere alten Überlieferungen. Nichts was Teil der Schöpfung ist, vergeht und verschwindet, es ändert nur seine Erscheinungsform. –

Mit der Weisheit des Alters wird uns bewusst, dass die Wahrnehmung unserer Erscheinungsform weitgehend auf Illusion beruht, auf einer Täuschung unserer sinnlichen Wahrnehmung. Wir entdecken in uns die Energieströme, die unseren Körper durchfliessen und wenn wir uns unseren Energieströmen anvertrauen, dann stossen wir bis an die Quelle vor,  dem Ursprung allen Lebens, die wir nicht an einem fernen Ort finden, sondern nur in uns selbst.-  Die gesamte Natur scheint äusserlich ständig zu entstehen und zu vergehen, und wir als Mensch, sind Teil dieser Natur, wir entstehen und vergehen, aber das was uns ausmacht, der Raum, in dem sich  Leben  und Intelligenz entfalten, werden nicht von Tod und äusserlicher Veränderung berührt, sie waren immer, sie werden  immer sein.   Das was die Formen  erschafft, Energie und Leben,  sind  unvergänglich. Und wenn wir sterben, und unsere Form sich auflöst ist doch unser Leben  noch mitten unter uns, die Anderen können es spüren, denn sie sind Teil des gleichen Lebens, noch gefangen in ihrer  physischen Existenz und doch auch zu Hause, dort wo sie und wir immer waren.

Wenn wir glauben,  mit unserem Tod sei unsere Existenz beendet, dann ist das Gegenteil der Fall. Wir erwachen im Sterben aus einem Traum, aus einem Traum von Zeit, Form  und Vergänglichkeit. Wo wir blind waren, werden wir sehend. Wir werden wieder Teil der uns umfassenden Intelligenz, aus der wir uns solange getrennt waren, wir werden wieder Teil des Schöpfergeistes, den wir solange nicht wahrnehmen konnten.  Stille erfüllt uns im Tod, und in der Stille erleben wir jeden Ton und jedes Wort, das je aus der Stille gekommen ist und wir  sehen wie die Form in uns vergeht. Wir sind wieder in die zeitlosen Gegenwart der Schöpfung eingetreten, sind Teil der Schöpfung und Teil des Alles, und auch Teil des Nichts, sind in unsere eigentliche Heimat, sind an die Quelle allen Lebens, an unseren Ursprung zurückgekehrt. In uns leuchtet die Erkenntnis auf, wir haben unsere eigentliche Heimat nie verlassen, wir hatten nur einen kurzen Traum von Welt und Zeit. Und dieser Traum ist der ewigen Wahrheit gewichen. Wir sind nicht gestorben, wir sind erwacht. Wenn wir erwachen,  erkennen wir, dass der Tod Leben bedeutet und das, was oft als Leben gedeutet wird,  eher oft dem Tod ähnelt, dann wenn die Menschen die Verbindung mit dem verloren haben, was sie ausmacht, die Verbindung mit dem Leben. Das grosse Geheimnis des Todes ist die Geburt des Lebens, denn das Leben ist unsterblich und  wenn unsere Form stirbt, erwacht der Mensch zum Leben, denn er ist in sein Vaterhaus zurückgekehrt. 

(Gedanken zum 10. Todestages meine Bruders Andreas)   

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