Samstag, 7. Juni 2025

Der Tod des Ego

In unserer christlichen Mythologie hat der Mensch Jesus sein Ego abgeworfen und wurde damit zu Christus, der sich seiner Göttlichkeit bewusst wurde. Die Religion nennt ihn Jesus Christus, die Verbindung der menschlichen mit seiner göttlichen Natur. Das gilt nicht nur für den historischen Jesus, es gilt für jeden Menschen.  Die Erbsünde, die dem Menschen zu eigen sein soll, ist das Ego, das dem Menschen angeboren ist.  Wenn sich das Ego zwischen Mensch und göttliche Natur schiebt, vergisst der Mensch seine Doppelnatur, vergisst den wesentlichen Teil von sich, seine Teilhabe an der Gesamtheit des Schöpfergeistes.  Wie soll aber etwas Sünde sein, was nur Irrtum ist, was wenn die Trennung vom Göttlichen nicht möglich ist?

 Das ewige Leben macht den wesentlichen Teil von uns Menschen aus, ist das Göttliche von uns. Selbst wenn das Ego sich die grösste Mühe gibt, die göttliche Natur des Menschseins zu leugnen, es kann dem Menschen nicht sein Leben erklären. Rätselhaft ist es dem Menschen, warum der Schöpfergeist den Zweifel, der das Ego bestimmt, überhaupt geschaffen hat.  Kann etwas Sünde sein, was der Schöpfergeist uns mit auf den Weg gegeben hat?  Vielleicht ist die Dualität unseres Menschseins eine besondere Gnade?  Wie könnten wir Licht ohne Dunkelheit erkennen? Wie könnten wie die Gottheit in uns wahrnehmen, wenn wir nicht die dunkle Seite in uns hätten?  Vielleicht hat die Schöpfung, durch die Schaffung der Dualität, im Menschen die Möglichkeit geschaffen, sich selbst zu erkennen. Vielleicht hat der Mensch die Gnade und den Fluch erfahren als Einziges Geschöpf in der Dualität zu leben, und sich von der Gottheit zu trennen, um sich der Gottheit in sich bewusst zu werden. So ist das Ego vielleicht ein Danaer Geschenk, Fluch und Segnung zugleich, das uns vom Schöpfergeist trennt, ihn verleugnet und gleichzeitig in sich die Fähigkeit birgt, die Leugnung und Verblendung wieder aufzuheben, um sich des Schöpfergeistes bewusst zu sein.   

Es gibt Momente im Leben, in denen der Schleier des Egos kurz gelüftet wird—Augenblicke von tiefer Erkenntnis, von transzendentaler Klarheit. Es sind jene seltenen Augenblicke der bedingungslosen Hingabe an das Sein.

Die Dualität, die der Mensch in sich trägt, ist kein Widerspruch, sondern ein Spiegel der Schöpfung selbst. Durch das Ego erfährt der Mensch die Illusion der Getrenntheit, doch gerade in dieser Illusion liegt das Potenzial zur höchsten Erkenntnis. Wie könnten wir Einssein begreifen, ohne zuerst die Erfahrung der Trennung gemacht zu haben? Das Ego ist der Prüfstein, die Herausforderung, die uns nicht zerstören soll, sondern uns die Möglichkeit gibt, über uns selbst hinauszuwachsen.

Vielleicht liegt die wahre Befreiung vom Ego nicht allein im Tod, sondern in einem Erwachen noch zu Lebzeiten. In einer vollkommenen Hingabe an das Jetzt, in einem tiefen Gefühl von Einheit mit allem, was ist. Es gibt keine Methode, kein Konzept, das diese Wahrheit greifen kann—nur die Erfahrung selbst kann sie offenbaren.

Nicht jeder wird diesen Zustand in seiner irdischen Existenz erreichen, doch die Möglichkeit besteht immer. Und vielleicht besteht die größte Gnade nicht in der völligen Abkehr vom Ego, sondern darin, es zu erkennen, es zu durchschauen und es als Teil der Reise zu akzeptieren. Denn selbst der Schatten existiert nur, weil es Licht gibt.

Der Mensch irrt, doch er irrt nicht allein—er wandert auf einem Pfad, der ihn immer wieder zur göttlichen Erkenntnis führt. Mögen wir eines Tages wahrhaft erkennen: Das Göttliche war nie getrennt von uns, es war immer da, in jedem Atemzug, in jeder Bewegung des Lebens selbst.

Per aspera ad astra—nicht nur durch Leiden, sondern durch Erkenntnis zu den Sternen.

 


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