Goethe hat nicht nur das Gedicht «Prometheus», sondern auch «Grenzen
der Menschheit» geschrieben. Beide Gedichte befassen sich mit unserem
Menschschein.
Im Prometheus sind wir der Titan, der sich seine Welt
erschafft, nach seinem Bild. Aber kann
das ein anderes Bild sein als das Bild der Gottheit? Wenn wir unsere eigene Welt erschaffen, sind
wir auch nur Teil des Schöpfergeistes. Jeder von uns mit den Begabungen
ausgestattet, die uns die Natur mitgegeben hat. Jede erschaffene Welt ist einzigartig, keine
Welt ähnelt der Welt des anderen. Auch Tiere und Pflanzen und auch Planeten haben
ihre eigene Welt, sind einzigartig, und ein Jedes stellt eine Welt für sich dar.
Alle Welten sind miteinander verbunden, sind Teil des Universums, und die
eigene Welt ist Teil der Gesamtheit aller
Welten.
Wenn wir in das Leben aufbrechen, öffnet sich unsere Welt
für uns. Es ist eine Welt der unbeschränkten Möglichkeiten. Es ist an uns, von diesen Möglichkeiten
Gebrauch zu machen und die Welt nach unserem Bild zu formen. Wir sind die Titane,
die Halbgötter, die diese Welt formen. Der Schöpfergeist ist Teil von uns und
gibt uns die Kraft unsere Welt zu gestalten, ein jeder nach seinen Fähigkeiten.
Im Alter blicken wir auf die Welt, die wir geschaffen haben,
unser Blick hat sich geweitet. Wir erkennen die Grenzen unseres Lebenswerkes,
das mit uns verschwindet, oder von unseren Kindern neu geschaffen werden muss.
Aber das Alter weitet auch unseren Horizont, und wir erkennen, dass unsere Welt
nur eine Welt von vielen ist, und wir nur ein Teil eines Schöpfungsprozesses sind,
der weit über unser menschliches Wahrnehmungsvermögen hinausgeht. Wir sind nur
Halbgötter, halb Mensch, halb Teil der Gottheit, Teil der Schöpfung und
gleichzeitig Teil der Gesamtheit.
Nur eine kurze Zeitspanne sind wir Teil der Welt, bevor wir
zurückkehren in die Gesamtheit. Für uns Menschen sind 85 Jahre eine lange
Zeitspanne, vor der Ewigkeit, nur ein Moment, ein Atemzug. Es ist die Doppelnatur des Menschen, die es
uns ermöglicht, ein Leben in der Zeit, mit einem Leben in der Ewigkeit zu
verbinden. Die Schöpfung kennt keine Grenzen, keine Zeit. Sie ist ganz Schöpfung und gleichzeitig Gesamtheit.
Nur wenn der Mensch sich hinauswagt, weit über die Grenzen
seines Denkens, kommt er der Wahrheit seines Seins näher. «Denn mit den Göttern
soll sich nicht messen der Mensch» - hat Goethe gedichtet. Was aber, wenn der
Mensch Teil der Gottheit ist? Was, wenn der Mensch die Welt formt nach
seinem Bilde, und diese Welt Illusion und Wahrheit in einem ist? Ist es nicht
das, was die menschliche Natur ausmacht:
Die Grenzen der Welt zu sprengen und Teil der Gottheit zu sein? Sind wir
nicht alle ein Teil der Schöpfung und zugleich Teil des Schöpfergeistes,
Titanen, wie die Griechen es nannten?
Wenn wir die Welt verlassen, verlässt unsere Welt uns. Im
ewigen Kommen und Gehen sind wir Teil der Gottheit, die sich durch uns zeigt
und sich mit unserem Gehen wieder verhüllt. Ein erfülltes Leben ist es, wenn
wir uns der Gottheit in uns immer bewusst sind und auch zugleich unseres Menschseins, - wenn wir erkennen,
dass wir ganz Teil der Schöpfung sind und ganz Teil des Schöpfergeistes. Und am
Ende unserer Tage erkennen wir, dass mit uns auch unsere Schöpfung endet. Es gibt
keinen Grund zu trauern, denn uns bleibt der andere Teil unseres Seins, die
Ewigkeit. Ein erfülltes Leben haben wir
gehabt, wenn uns die Doppelnatur unserer Existenz immer bewusst blieb, und wenn
wir in dem Wissen gehen, dass wir nur die Welt verlassen, um wieder in unsere
eigentliche Heimat zurückzukehren.
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