In der Wochenendausgabe der FAZ las ich einen Artikel über
die Kirchenaustritte. Als Gründe wurden
die Missbräuche, das fehlende Interesse an Religion oder der fehlende Glaube an
das Übersinnliche genannt. Wenn der Glaube an das Übersinnliche fehlt müsste ja
der Glaube an das Sinnliche vorhanden sein, an das, was die Sinne erfassen
können. Das was die Sinne erfassen, unser Bild von der Welt, von der Natur, wird
den meisten Menschen aber nicht als Glauben, sondern als Realität vorkommen,
obwohl es sich in Wirklichkeit um Illusion handelt. Trotzdem glauben wir an
unsere Sinnestäuschung. Weil wir als Realität die Illusion unserer physischen
Existenz, ihre Entstehung, ihr Leben und ihren Tod erleben, haben die Religionen
die Angst des Menschen vor seiner physischen Vernichtung , durch Jahrhunderte
als Basis für ihre Existenz benutzt. Erst
mit der Aufklärung wurde die Macht der Kirchen in der westlichen Welt gebrochen.-
Der Mensch steht aber noch immer vor
dem Wunder seines Lebens, seiner Existenz, auch wenn ihm klar ist, dass sein Leben nicht das ist, was es zu sein
scheint. Wo er früher festen Boden unter den Füssen hatte, tut sich Leere auf,
der schöne Glaube an heilige Bücher, an
die Strukturen der
Religionsgemeinschaften, an vorgeschriebenen Regeln, die das Leben beherrschten, war plötzlich der
Ernüchterung gewichen. Niemand ist mehr
da, der einem das Himmelreich versprechen kann. Der Mensch ist auf sich
selbst zurückgeworfen. - Gerade wenn wir nicht weiterwissen, ist ein Wendepunkt erreicht, die Möglichkeit
sich zurück zu besinnen, auf das was wir sind, auf die Doppelnatur unseres Menschseins - ganz von dieser Welt – und ganz aus dem
geschaffen, was jenseits von Welt ist. - Religion ist die Rückverbindung auf die Ebene jenseits der Welt, Rückkehr zum Leben, aus dem wir entstehen, in
das wir vergehen, im ewigen Kreislauf der Zeit. -Vielleicht helfen uns die leeren Kirchen, die Leere als
Ausgangspunkt von Allem zu begreifen, den leeren Raum als das Göttliche, als die schaffende, Allem
innewohnende Intelligenz, oder die Stille, die sich ohne Worte verständlich
macht, als die mächtigste Sprache des Göttlichen. Und aus der Leere und der Stille entsteht
eine neue Welt, nicht eine Welt in der das Gute vom Bösen bedrängt wird, sondern eine Welt in der sich das Sinnliche mit dem
Übersinnlichen verbindet, zu einer Einheit wird, die nicht mehr gesucht werden muss, weil sie
schon da ist. Die wunderbaren leeren Kirchen der Vergangenheit werden so zum Symbol für den Neubeginn. Der
leere Raum öffnet sich, aus ihm erwächst die Blüte einer neuen Menschheit, einer neuen Religion,
der Mensch kehrt zurück ins Vaterhaus. Die Leere in den Kirchen mit ihrer
Stille erinnert an die Worte eines
Weisen, der schon vor 2000 Jahren darauf
hinwies, dass die Menschheit das
Göttliche erst begreifen wird, wenn
jeder von uns den Tempel des Göttlichen in sich selbst betritt und das
Göttliche in sich wahrzunehmen lernt, in der Leere und der Stille, unserer
eigentlichen Natur. Die leeren Kirchen und Priesterseminare weisen uns den Weg dorthin, zum Übersinnlichen, zum Sein.
Samstag, 9. Juli 2022
Das Übersinnliche
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