Dienstag, 19. Juli 2022

Wie ich nicht Milliardär wurde

In den  sechziger Jahren war ich, während meiner Berufsausbildung,  Reiseleiter für amerikanische Reisegruppen, die Europa kennenlernen wollten. Eine dieser Gruppen bestand aus den Inhabern der wichtigsten  US Fernseh- und Radiostationen. Wir wurden in allen Hauptstädten von den Botschaftern der USA empfangen, in Rom selbst vom Papst in Privataudienz. Ich kümmerte mich besonders um ein deutschstämmiges Ehepaar, das in der Gegend von Rothenburg  nach den Spuren ihrer Herkunft suchte. Nach dem Abschluss der Reise erhielt ich einen Anwaltsbrief, in dem mir das Ehepaar anbot mich zu adoptieren, da sie keine Kinder bekommen konnten. Es war ein sympathisches Ehepaar und beide  gehörten in der damaligen Zeit zu den wichtigsten Unternehmern der öffentlichen Medien. Ihr Unternehmen hätte heute einen Milliardenwert.-  Natürlich habe ich über dieses Angebot nachgedacht, wer bekommt schon aus heiterem Himmel eine  solche Chance. Durfte ich eine solches Angebot des Schicksals überhaupt ausschlagen? – Ich habe mich  bei dem Ehepaar für ihr grosses Vertrauen bedankt, ich konnte das Angebot nicht annehmen. Wir werden in eine Identität hineingeboren, ich hatte liebevolle Eltern, Brüder denen ich nahestand, ich wollte mein eigenes Leben leben, nicht  das Leben anderer, mir meine Welt schaffen, eine Welt wie ich sie mir vorstellte. Bei einer Adoption hätte ich mein ganzes Leben das Gefühl gehabt, dass mir die Leistung anderer nicht zustehe.  Mir tat das  reizende Ehepaar leid, als ich ihr Angebot ablehnte, ich war die richtige Person, die sie adoptieren wollten, weil ich es ablehnte. Vielleicht sind sie selber zu dem Schluss gekommen, dass jemand der ihr Angebot annehmen würde,  nicht die geeignete Person als Nachfolger wäre.   Das Ehepaar starb in den neunziger Jahren  kinderlos. Ihr riesiges Vermögen wurde in eine noch heute bestehende wohltätige Stiftung eingebracht. - Ich habe meine Entscheidung nie bereut, - mein Schicksal hat es mir gedankt, mit einem reichen und erfüllten Leben. 

Keine Kommentare: