Freitag, 1. Juli 2022

Mein Kampf mit dem Drachen

In der Mythologie steht der Drache  für das Böse, bei C.G. Jung für unsere Schattenpersönlichkeit, in der Religion für den Teufel. In den Legenden bewacht er einen Schatz, eine Jungfrau, und immer geht es um den Kampf mit dem Drachen und die Gewinnung eines Schatzes.  Der Drache kommt in allen Kulturen vor  und jeder ist schon einmal seinem persönlichen Drachen begegnet. Natürlich habe ich mich gefragt, was ist mein eigenes Erlebnis mit meinem Drachen gewesen, und welchen Kampf musste ich bestehen, um meinen Schatz zu finden? Als Kinder erleben wir den Drachen selten, wir leben noch in der Einheit, nur manchmal rührt er sich, zeigt sein dunkles Gesicht, wenn wir bewusst etwas Böses tun,  oder einen unerklärlichen Wutanfall  haben.  Meistens treten wir erst in der Pubertät bewusst in die Dualität ein, wir fallen aus der Einheit in die Wirklichkeit, in der  alles in Frage gestellt ist.  Es ist der Moment, in dem sich der Drache in seiner Höhle rührt und anfängt in unser Leben einzudringen, die dunkle Macht fängt an sich zu zeigen. - Als Eltern sind wir in diesem Moment besonders gefordert, denn wir sind die ersten die in Frage gestellt werden, genauso wie die Schule, die Autoritäten.  Stattdessen zählen die coolen Freunde, die Verlockungen der Welt,  und wir können froh sein, wenn der Prozess des Selbständigwerdens  sich nur gegen uns als Eltern richtet,  und nicht die Wurzeln zur Selbstzerstörung  gelegt werden. Es sind die gefährlichsten Jahre in unserer Menschwerdung und es  ist alle Kraft des jungen Menschen erforderlich, um den Drachen in seine Höhle zurückzudrängen. Und wenn wir weitergehen auf unserem Weg der Menschwerdung, und alles Wissen dieser Welt erlangen und vielleicht auch noch alle Schätze dieser Welt, immer noch liegt der Drache vor dem Tor  der Erkenntnis und verweigert uns den Zugang. Die Wenigsten von uns Menschen haben den Mut, ihr Schwert anzulegen und den Kampf mit dem Drachen aufzunehmen. Es ist ein Kampf um Leben und Tod. Wenn wir den Kampf  nicht  führen, bleiben wir der Welt verhaftet, wir werden geboren, gehen durch die Welt und am Ende unseres Weges erwartet uns der Tod. Wenn wir aber den Kampf mit dem Drachen aufnehmen, und siegreich sind,  dann erwartet uns der Schatz, der uns so lange verborgen war, der Schatz des Lebens.  Dies alles findet in uns selbst statt.  Jeder Mensch hat seinen eigenen Drachen, seine dunkle Seite, seine Dämonen, die ihm das Leben schwer machen, oft so schwer, dass er sein Leben nicht mehr wahrnimmt. -  Wenn ich mein eigenes Leben betrachte, dann hat mir die Welt alles geboten, an ihren Gütern, an Wissen und Erfolg. Erst in der zweiten Lebenshälfte bin ich langsam erwacht. Mir fehlte noch etwas auf meinem Weg durch die Welt, mir fehlte das Wissen um mich selbst. Es schien mir tatsächlich wie in der Legende zu sein, eine gewaltige Macht verwehrte mir den Zugang zu mir selbst. Als ich das endlich begriffen hatte, öffnete sich eine Tür in mir,  der Wächter des Tores hatte sich zurückgezogen, ich konnte mich selbst betreten, ich konnte den Raum betreten, der den eigentlichen Schatz aufbewahrte, den die Welt so lange vor mir verborgen hatte -  den Schatz des Lebens. Wenn ich Raum sage, dann meine ich buchstäblich Raum, den Raum der Leere in meinem Körper,  den Raum, der das Alles enthält, diese Welt und die Leere,  das nicht Sagbare,  das ewige Nichts,  das alles trägt, die Leere als Matrix von allem was ist. Als ich mich umdrehte und sehen wollte, was aus dem Drachen geworden war, der so lange unüberwindlich schien, da war der Drache verschwunden.

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