Die jungen Menschen haben recht, wenn sie auf den Zustand
der Welt hinweisen. Die Welt ist krank, vergiftet, zugemüllt und mit ihr auch
der Mensch. Sie weisen auf die Symptome
hin, weniger auf die Ursachen. Umweltkongresse
finden statt und, wie in der Medizin, werden nur die Symptome besprochen, und wie
bei Kranken ist der Wille, die Ursachen zu behandeln, gering. Die eigentliche
Krankheit liegt im Kopf des Menschen. In
der Vermüllung des Verstandes durch den Lärm der Welt, durch Fernsehen, Reklame, dem ständigen Wunsch nach Mehr in allen
Bereichen ,wie Konsum, Geld, Beruf, Position, Ansehen, in der
Vergiftung der Köpfe durch staatliche
Propaganda, Medien, Falschinformationen.
Das alles hat den Menschen zu einem Zombie gemacht, der blind
und schon halbtot durch die Welt
taumelt. - Jede Gesundung der Menschheit
muss im Kopf ansetzen, an der Heilung einer gefährlichen Geisteskrankheit, die die
Menschheit wieder einmal an einen
Abgrund geführt hat. - Als ich geboren wurde, stand die Menschheit an einem
solchen Abgrund, die halbe Menschheit war an Ideologien erkrankt, die Folge,
Millionen von Toten. Und wieder ist eine
neue Krankheiten ausgebrochen, die entwickelten Nationen, in ihrem Streben nach
Mehr, beuten die Welt aus, vergiften sie
durch ihre Industrien und gehen an ihrer hemmungslosen Fresssucht und Gier allmählich
zu Grunde. Menschliche Werte, wie Verantwortung, Nachdenken, Miteinander, Hilfe, werden gering geachtet und in die unfähigen
Hände des Staates gelegt. Kant würde sagen, die Menschheit ist wieder in eine
selbstverschuldeten Unmündigkeit abgestiegen. – Heilung gibt es nur, wenn der
einzelne Mensch erwacht, wieder die Verantwortung für sein Leben übernimmt und
dabei nicht den Blick für den anderen verliert. Wenn er alle Lärmquellen um sich
abstellt, wieder Stille in sich eintreten lässt und in ein bescheidenes, selbstbestimmtes Leben
eintritt. Ich habe nach dem letzten Weltkrieg eine solche Phase der
Selbstbesinnung erlebt, als die verhungerten und tief verletzten Menschen
wieder neue Kraft gewannen. Die Menschen
in der Ukraine wissen von was ich spreche, wenn sie Kälte, Hunger und Krieg
erleben und für die Werte des Lebens kämpfen. Wenn wir zur Selbstreduzierung gezwungen
werden, wenn wir um unser täglich Brot bitten müssen, wenn der Strom fehlt und
es um das nackte Überleben geht, dann
fangen wir an, uns zu erinnern, wer wir auch sind, Wesen von der Natur erschaffen und verpflichtet
diese Welt zu erhalten und mit ihr alle Mitmenschen, die Natur mit ihren
Lebewesen, und vor allem die Grundlagen, die Leben überhaupt ermöglichen. – Aber wir brauchen anscheinend immer wieder
den Absturz in die Krise, um zu gesunden. Es muss noch viel schlimmer kommen,
bevor wir aufwachen und wieder unser Schicksal in eigene Hände nehmen, wieder
anfangen verantwortlich zu denken .
Die Krankheitssymptome mehren sich, aber nur die jungen Menschen scheinen zu
ahnen, was ihnen bevorsteht. Es reicht nicht mehr die Symptome zu
behandeln, wir müssen zu den Ursachen vorstossen, zu unserem Verstand, der Segen und Fluch sein kann, und im
Augenblick in einem tief kranken Zustand ist.
Sonntag, 27. November 2022
Krankheitssymptome
Mittwoch, 23. November 2022
Zurück zur Natur
Zu allen Zeiten wurde der Weltuntergang prophezeit. Wir
sollten besser vom Untergang der Menschheit sprechen. Wenn wir heute von
Klimakrise reden, vom hemmungslosen Ausbeuten der Natur, des Landes, der Meere,
so ist das ein Erwachen der Menschheit aus der Vorstellung, die Natur wäre nur
da, dem Menschen zu dienen. Der Mensch ist nur Teil der Natur, der Schöpfung,
des Planeten und unterliegt deren Gesetzen. Aus menschlicher Sicht scheinen
diese Gesetze grausam zu sein: Alle Lebewesen dienen sich gegenseitig als
Nahrung, die stärkere Pflanze verdrängt die schwächere Pflanze - ohne den
Eingriff des Menschen, wäre die Welt heute weitgehend von Wäldern bedeckt, es
gäbe keine Wiesen, keine Blumen mehr. Nur der Mensch erklärt die Zustände der
Natur als gut oder schlecht. Die Natur kennt nicht diese Unterscheidung, eine
höhere Intelligenz ist in der Natur am Wirken und entscheidet auch über das
Schicksal der Spezies Mensch. Wenn die Ressourcen der Welt nicht mehr reichen,
die Menschheit zu ernähren, dann wird nur der Mensch untergehen, nicht aber die
Welt oder die Natur. Auch das ist weder gut noch schlecht. Der Mensch übersieht, dass die ganze Natur ein
lebender Organismus ist, ausgestattet mit einer eigenen Intelligenz, die den
kleinen Verstand des Menschen bei Weitem übertrifft. Wenn diese höhere
Intelligenz den Menschen als Fehlentwicklung begreift, dann beschliesst sie
seinen Untergang.- Es scheint aber ein Wandel im Verständnis
des Menschen einzutreten, was Natur bedeutet. Teile der Menschheit begreifen
sich wieder als Teil der Natur, nicht als Einzellebewesen, die nur am eigenen Überleben
interessiert sind. -- Welche Auswirkungen
wird es haben, wenn grosse Teile der Welt unbewohnbar werden, weil das
Klima sich verändert? Wenn es nicht mehr
genügend Nahrung gibt, um 8 Milliarden Menschen zu ernähren? Wenn sich
Menschenströme in Bewegung setzen, um in noch bewohnbare Gebiete des Planeten
zu gelangen? Was wenn Land und Wasser nicht
mehr genug Nahrung bieten, die Luft zum Atem weniger wird, welche Folgen wird das haben? Die Natur stört es nicht, wenn die
Nahrungsgrundlagen einer Spezies zu Ende gehen. Die Welt wird für den Menschen
unwirtlich, die Folgen können wir noch nicht absehen. Die Welt wird sich weiter
wandeln, und es wird Neues entstehen, so
wie in den Millionen Jahren vor dem Entstehen der Menschheit. Die jungen
Menschen sprechen von einer letzten Generation. Soweit sind wir noch nicht,- aber
zu glauben, wir könnten mit Demonstrationen das Klima und die Welt retten, scheint utopisch. - Wir
könnten damit beginnen, in den Schulen den Blick für die Natur zu
öffnen, ein neues Bewusstsein zu
entwickeln, wenn wir etwas für die Erhaltung der Spezies Mensch tun wollen, - die Erkenntnis vermitteln, dass Natur nicht
uns dient, sondern wir, als Teil der Natur, uns so verhalten müssen, dass die
Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen erhalten bleiben.
Sonntag, 20. November 2022
Nur ein Stein
Meine Enkel haben mir vom Strand einen runden Kieselstein
mitgebracht. Er ist rund und
abgeschliffen. Was für ein wunderbares Geschenk, sage ich. Und ich meine auch,
was ich sage. Schon seit Beginn der Schöpfungsgeschichte existiert dieser
Stein. Vielleicht noch nicht in dieser Form, die er erst nach Millionen Jahren
durch die Bewegung des Meeres erhalten hat.
Welche Kostbarkeit, die eigentlich in ein Museum gehört, aber dort
werden nur Gegenstände verwahrt, die viel jüngeren Datums sind. Und schon hat
mich der Stein in seinen Bann gezogen. Ich fühle das, was mich mit dem Stein
verbindet. Aber etwas in mir öffnet den Stein, dieses
seit ewigen Zeiten so feste und sichere Werk der Natur. Ich fühle die gleiche Substanz im Stein, wie
in mir, die Ewigkeit, den Raum, der diesen Stein erfüllt, die Energie, die
Atome, die in ihm ihr Werk tun. Die
anscheinend tote Materie fängt an zu leben, es ist das gleiche Leben, das mich
erfüllt, nicht mit meinen Sinnen erfahrbar,
nur mit meinem inneren Gehör. Es ist die Stille, die aus dem Stein zu
mir spricht, das Ewige, das mich und den Stein erfüllt, das gleiche Leben, das
den Stein und mich geschaffen hat. Die Natur ist in Form eines Steines zu mir
gekommen und erinnert mich daran, wer ich bin. Welch wunderbares Geschenk,
dieser Stein, welche Verbundenheit in mir entstanden ist.
Freitag, 18. November 2022
Dem Gefängnis entkommen
Sobald wir anfangen zu denken, fangen wir an zu lernen, Wissen anzuhäufen, Ideen zu entwickeln und plötzlich hat unser Verstand die Regierung über unser Leben übernommen. Ich kenne nur wenige Menschen, die der Herrschaft ihres Verstandes entkommen können. Der Verstand entwickelt Theorien, Dogmen, Wissen, er will immer mehr und mehr. Eine innere Stimme sagt uns, ich bin das einzige Wichtige in Deinem Leben, ich bestimme Dein Leben, ich bin Dein Herrscher. Wir merken gar nicht, dass der Verstand uns in ein Gefängnis steckt, das uns die Sicht auf die Freiheit versperrt, auf die Freiheit, mit der wir zur Welt gekommen sind, auf die Freiheit des Lebens, die wir nur erfahren, wenn wir uns aus den Fesseln des Verstandes befreien. Wir brauchen nicht in den Osten zu pilgern, um wieder zu lernen, mit der Stille zu leben, auch kein Yoga zu betreiben, um uns vom Diktat des Verstandes zu befreien. Es genügt, wenn wir uns neben uns stellen, uns beobachten und zu sehen, dass das Rad im Kopf langsamer wird, ganz zum Stillstand kommt, und wie aus der Leere plötzlich das Leben sichtbar wird, das uns erfüllt und alles erfüllt das um uns ist. Und es ist das, was wir wieder lernen müssen, zu sehen, wie Alles mit Allem verbunden ist, das nichts so ist wie es erscheint, wir ein Teil eines nicht mit menschlicher Intelligenz erfassbaren Ganzen sind, ein Teil der göttlichen Energie, die alles erfüllt. Wenn wir innehalten, uns ganz auf uns selbst konzentrieren, oder auf das was wir gerade tun, fallen alle Gedanken von uns ab, der Verstand kommt zum Stillstand, wir sind dem Gefängnis unserer Gedanken, den engen Mauern unserer Gedankenwelt entkommen. Es tritt Stille ein und Weite, und wir öffnen uns dem Leben.
Sonntag, 13. November 2022
Ein Sonntagmorgen
Wenn wir älter werden, brauchen wir weniger Schlaf. Oft
wache ich früh auf. Es ist die Stunde
der Meditation. Es ist still draussen und es ist still im Inneren. Es ist die Stille, aus der Gedanken fliessen,
die nicht vom Verstand entwickelt werden. Erst wenn sich ein Fenster öffnet
kommt ein Gedanke, der es wert ist, weiter verfolgt zu werden. – Wenn wir uns die Weisheitslehren ansehen, dann
bestehen diese Lehren aus wenigen Gedanken und
doch werden dicke Bücher über das Wenige geschrieben. Nicht umsonst sind
die Worte Leere und Lehre so ähnlich - Das gilt auch für alle Buchreligionen, sie
bestehen aus nur wenigen ewigen Weisheiten, in wenigen Sätzen zusammenfassbar. Aber
Weisheiten die nicht in immer neue Gleichnisse verpackt werden, sind für die
meisten Menschen kaum verständlich, und so wird das Wenige in viele Worte
verpackt. - Ich stelle mir manchmal vor, ich wäre ein Pfarrer und müsste meine
Sonntagspredigt schreiben. Es stehen mir nur wenige Wahrheiten zur Verfügung. Jeden
Sonntag müsste ich diese Wahrheiten in andere Worte kleiden. Und manche dieser
Wahrheiten lassen sich kaum in Worte fassen. Wer kann schon über das Nichts und
über die Stille schreiben? Aber wenn die
Worte aus der Stille fliessen, werden sie Welt, und wenn die Welt aus dem Nichts entsteht, erhält die Welt und die Worte für den Menschen
einen Sinn. Wir vergessen nur oft woher die Welt und wir selbst und die Worte,
die wir sprechen ihren Ursprung haben, woher sie kommen und wohin sie gehen. –
Als ich heute morgen meine tibetische Meditationsübung machte, meine Chakren in Bewegung zu setzen, fiel mir auf,
dass ich immer bei der Erde, meinem Wurzelchakra beginne und dann aufsteige,
bis ich im Kronenchakra im Himmel ende, - jeden Morgen, mit wenigen Drehungen
meines Körpers das ganze Leben darstellen. Ein schöner Sonntagsbeginn und eine
Predigt, die aus den Bewegungen meines Körpers um sich selbst besteht. Die
Bewegung, ganz aus dieser Welt und der Geist mit dem Himmel verbunden. Welch
tiefe Einsicht in das Geheimnis des Lebens.
Sonntag, 6. November 2022
Horchen und Hören
In der benediktinischen Ordensregel ist das Horchen eine der
wichtigsten Vorschriften. Das Horchen ist die Vorstufe zum Hören, ich versuche
etwas zu hören, was ich noch nicht hören kann. Gemeint ist nicht, das was die
Welt unter hören versteht, es ist nicht die Musik, die ohne Unterlass aus den
Ohrstöpseln dröhnt, die so viele Menschen heute tragen, nicht die Geräusche der
Fernseher, die Tag und Nacht laufen. Es sind auch nicht die Gedanken im Kopf,
die, ohne Laute, sich von früh bis spät in unserem Kopf bewegen. Dieses Hören, ist
nicht gemeint. - Wir müssen nicht in ein Kloster eintreten, um das Horchen zu erlernen.
Es reicht, wenn wir in die Natur gehen und den Tönen der Natur lauschen, dem Rauschen des Windes in den Blättern,
dem Zwitschern der Vögel, und wenn es gelingt, die Stimme in unserem Kopf
zum Schweigen zu bringen, die, mit ihren unablässigen Gedankenströmen, das wirkliche Hören verstellt, fangen wir an, die leisen Töne zu hören. Wir müssen das Horchen wieder erlernen,
erst die sanften feinen Töne der Natur und am Ende, das Horchen
auf die Stille.- Die Mönche in früheren
Jahrhunderten haben die Litanei benutzt, die ewige Wiederholung von Worten und Gesängen, um die Welt der
Gedanken zum Stillstand zu bringen. Ob das der richtige Weg war, wissen wir
nicht – eins wissen wir, am Ende sollte die Stille stehen, die Stille in der
Klosterzelle, in die sich der Mönch zurückzog, die Stille im Kopf, wenn die
Töne verklungen waren. - Heute suchen wir die Stille in der Natur, in der
Meditation, in Yogaübungen, in denen wir die Gedanken abschalten und uns auf
unser Tun konzentrieren. Der Mensch scheint intuitiv zu wissen, dass die Stille
zum Wertvollsten gehört, das wir besitzen. Und wir horchen, nicht um Töne zu hören,
sondern um Stille zu hören. Wieder eine dieser paradoxen Wahrheiten, die unser
Leben begleiten. -Stille enthält jeden Ton, jedes Wort, jede Weisheit, - alles kommt aus der Stille, wird zu Energie
und Leben und kehrt in die Stille zurück. - Die Buddhisten verwenden die Klangschale, der Ton erklingt
und kehrt in die Stille zurück. Ein wunderbares Symbol für das Leben, das aus
dem Raum und der Stille entsteht, anschwillt und vom ewigen Raum wieder zurückgenommen wird.
Wenn wir lernen wollen zu hören, dann sollten wir uns vielleicht eine
Klangschale besorgen. Sie zeigt uns im Klang,
wie Leben entsteht und vergeht. Sie zeigt uns das Ziel des Horchens,
das Horchen auf die Stille - und wenn die Stille eintritt, dann hören
wir die ewigen Wahrheiten des Lebens: - Es ist
die Stille, aus der Gott spricht und der
ewige Raum aus dem Leben entsteht.
Ich schreibe dies in ersten Stunden des Tages, die Morgenröte
kündet den Tag, vor mir liegt das Meer und
ich höre das sanfte Rauschen der Wellen. Ich kann mir
keinen besseren Platz vorstellen, für meine morgendliche Meditation. Die Stille
ist hier ganz nahe – ich kann sie hören.
Donnerstag, 3. November 2022
Ein Blick in die Vergangenheit
Wenn wir älter werden, richtet sich unser Blick häufiger in die Vergangenheit. Dabei ist es durchaus zweifelhaft, ob es eine objektive Vergangenheit gibt. Es gibt den Blick auf die eigene Vergangenheit und es gibt den Blick des Umfeldes, auf meine Vergangenheit, von Kindern, Freunden und Bekannten. Jeder verfügt nur über Bruchstücke meiner Vergangenheit, die er in seinem Gedächtnis festgehalten hat – eine objektive Gesamtschau einer Vergangenheit wird es daher niemals geben, auch nicht der eigenen Vergangenheit. So erscheint die Vergangenheit nur als ein Gedankenkonstrukt, das mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu einer vergangenen Zeit wenig zu tun hat. - Auch über die Zukunft brauchen wir nicht zu sprechen, es ist nicht nur der ältere Mensch der keine Zukunft mehr hat. Es hat noch nie eine Zukunft gegeben hat, es gab immer nur die Gegenwart, das Jetzt und die Vergangenheit, die vielleicht länger zurückzuliegen scheint, war auch nur das Jetzt in der damaligen Gegenwart, das sich in jeder Sekunde nur durch ein neues Jetzt fortsetzte. So ist der Blick in die Vergangenheit trügerisch und bringt uns kaum eine Erkenntnis, was Vergangenheit früher war. - Natürlich gilt das gleiche auch für die Geschichtsschreibung, - selbst wenn wir die Summe aller Geschichtsschreibungen addieren, wird kaum etwas zustande kommen, was der damaligen Wirklichkeit entsprechen würde und nichts, was wir als Geschichte bezeichnen könnten. - Natürlich glaube ich, über mich selbst etwas aussagen zu können. Aber kann ich da von Objektivität sprechen, vielleicht blickt mein Umfeld mit ganz anderen Augen auf mein Leben, und muss ich nicht auch das berücksichtigen, was die Anderen über mich denken, und wie sie mein Leben sehen? Könnte die Summe aus meiner Sichtweise und der Sichtweise meiner Umgebung sich zu einem objektiven Bild meines Lebens zusammenfügen lassen? – Aber wie soll ein Anderer meine Motivation kennen, wie soll er deuten, warum ich mich so und nicht anderes verhalten habe? – Zweifel über Zweifel. - Die Geschichte meines Lebens scheint eher einem Märchen als der Wahrheit zu entsprechen. So scheint es allen reflektierenden Menschen zu allen Zeiten gegangen zu sein. - Wenn ich an den Sinnspruch des Orakels von Delphi denke: «Mensch erkenne Dich selbst!» dann scheint es mir um eine Aufforderung zu gehen, die der Mensch nicht erfüllen kann: Er kann sich nicht erkennen oder als Paradoxon: Er erkennt, dass er sich nicht erkennen kann. - Und so wie dieser Spruch über dem Eingang zur Wahrheit stand, so sah auch ein Orakelspruch aus, den ein Besucher erhielt: Es wurde keine eindeutige Wahrheit verkündet - Die Wahrheit lag in der Vieldeutigkeit des Orakels. – Natürlich ist die nächste Frage, die ich mir zu meiner Vergangenheit stelle, welches waren wichtige Momente in meinem Leben? - Vielleicht der Moment, als sich mein Blick nicht mehr so sehr auf die Welt ausserhalb von mir richtete, sondern in die Welt in mir? Das wäre dann der Blick auf meine physische Existenz, auf die Welt der Energie, die Welt des ewigen Wandels, der Bereich in mir, den meine Sinne erfassen können. - Aber dann auch der notwendige Schritt in die Wahrnehmung dessen, was nicht von den Sinnen erfasst werden kann, die Stille in mir, der Raum in mir. Und dann die Erkenntnis, dass ich das Nichtexistierende in mir nur wahrnehmen kann, weil ich existiere, dass ich vielleicht nur geschaffen bin, weil das ewige Nichtwahrnehmbare durch mich wahrnehmbar wird – dass das Nichtexistierende, das was wir Gott nennen und der Mensch ineinander fliessen, das Eine ohne das Andere nicht sein kann. - Wahrscheinlich ist der Moment dieser Erkenntnis der wichtigste in meinem Leben gewesen. Vielleicht ist das der Moment der Erleuchtung, der Moment in dem wir die Bedeutung des Satzes verstehen - Erlöse uns von dem Übel - von der Vorstellung, wir wären nur Welt und nicht das grenzenlos Ewige, und die Vorstellung, es wäre da noch ein Gegenüber, an den wir diese Bitte richten könnten. - So ist wahrscheinlich der grösste Moment in meinem Leben, als ich begriffen habe, dass Leben oder Gott in allem enthalten ist, was existiert, und dass meine Existenz mit dem Göttlichen Sein identisch ist, dass Welt und Gott in mir und in Allem um mich, eins sind, das eine ohne das andere nicht denkbar. – Ich sollte häufiger einen Blick in die Vergangenheit werfen, das Leben erhält dann eine ganz andere Dimension.