Mittwoch, 24. Januar 2024

Warten auf Godot

Gestern wurde ich gefragt, was ich im Augenblick mache. Ich antwortete spontan: Ich warte auf den Tod. -  Das wurde natürlich mit einem Lächeln abgetan. Dabei rührt es an eine Kernfragen der Menschen. Wir scheinen immer auf etwas zu warten. Wir warten auf den nächsten Tag. Wir warten darauf, dass wir erwachsen werden, den richtigen Partner finden, den richtigen Beruf,  Erfolg haben, nur auf den Tod warten wir nicht, den verdrängen wir. Vielleicht warten wir auch auf Godot, auf Gott,  der auch nie kommen wird, wie bei den beiden Landstreichern von Samuel Becket. Mit dem Warten scheint etwas nicht zu  stimmen, es tritt nur selten etwas so ein,  wie wir es erwarten. Dem Warten liegt ein grundsätzlicher Irrtum in der Sichtweise zugrunde. Wir denken immer horizontal, in den Zeitvorstellungen von gestern, heute, morgen. Es gibt aber auch eine vertikale Denkweise, in der alles ein einziger Augenblick ist, in dem immer jetzt ist. Wenn wir vertikal denken, dann konzentrieren wir uns auf das, was ist. Auf den Moment, der nie wiederkommen wird, den wir bewusst erleben. Dann hören wir auf,  Dinge zu vergessen, gedankenlos das Essen in uns aufzunehmen, im Beruf schon an die Freizeit zu denken, immer woanders in Gedanken zu sein, nur nicht gerade hier, in diesem Augenblick.  Wenn wir  in diesem Augenblick anwesend sind,  dann warten wir nicht mehr auf etwas Imaginäres, dann sind wir in der Gegenwart angekommen.  Dann wird auch das «Warten auf Godot» sinnlos, denn entweder Godot ist schon da, in allem was wir tun, in unserem Leben, in uns selbst, - oder wird auch durch warten nicht sichtbar, nicht begreifbar. Und vor allem brauchen wir nicht auf den Tod zu warten. Er ist immer an unserer Seite, begleitet uns durch unser Leben, ein treuer Gefährte, so wie das Leben der kostbarste Begleiter unseres Seins ist. Leben und Tod sind nur die zwei Seiten von dem was wir unsere Existenz nennen. Es ist der grösste Irrtum des Menschen auf etwas zu warten, was kommen wird, wenn wir die Möglichkeit haben, alles bereits in diesem Augenblick zu erhalten, in dem Augenblick, in dem wir in der Gegenwart ankommen, und in dem uns auch Godot begegnet, wenn wir ihm begegnen wollen.


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