Dienstag, 20. Mai 2025

Individualität und Ganzheit

Wir vergessen immer, dass wir in zwei Welten leben.  Da ist die Welt unserer  Individualität, und die Welt der Ganzheit.  Als ich geboren wurde, schienen die Möglichkeiten zu überleben nur gering zu sein. Das Kriegsgeschehen verwandelte die Welt um mich in Trümmerhaufen, es sah im heimatlichen Berlin ähnlich aus, wie die Bilder  aus der letzten Tagesschau aus Palästina. Hunger, Krankheiten und Tod beherrschten mein Umfeld.  Die Chancen individuell zu überleben waren gering.  Wenn ich nicht ein Kind gewesen wäre, dann hätten diese Gedanken zu meinem täglichen Brot gehört,  meinen Eltern gingen täglich diese Gedanken durch den Kopf. Ich lebte aber noch in der Ganzheit der Schöpfung, und die Ganzheit hatte anderes mit mir vor. Gegen jede Wahrscheinlichkeit überlebte ich die untergehende Welt meiner Heimat, überlebte die Hungerjahre, den Katalog aller möglichen Krankheiten und fand mich, mit zunehmendem Verstand in einem Leben der Individualität wieder, das ganz unten begann. Ich empfand mich als ein kleines Nichts, das es schwer haben würde, sich in dieser schwierigen Nachkriegszeit durchzusetzen. Fast hatte ich vergessen, dass ich nur da war, weil etwas seine schützende Hand über mich gehalten hatte und anderes mit mir vorhatte. So geht es den meisten Menschen. Sie sehen nur ihr individuelles Schicksal,  vergessen aber, dass sie Teil einer Ganzheit sind, die unser Leben bestimmt. Wir dürfen nicht nur das sehen, was uns unsere Sinne mitteilen, wir müssen uns daran erinnern, dass wir mehr sind als unser individuelles Schicksal. Immer wenn ich vor schwierigen Situationen stand, habe ich mich daran erinnert. Ich habe mich im Schlaf der Ganzheit anvertraut, und am Morgen hatte sich das geklärt, was am Abend noch so schwierig erschien.  Wie könnte es auch anders sein,  haben wir doch nie die Ganzheit verlassen, deren ewiger Teil wir sind.


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