Freitag, 10. April 2020

Leiden als Weg

In Zeiten einer Pandemie kommt Karfreitag auf uns zu. Die alte Erinnerung steigt auf an den Weg des Kreuzes, der so viele Jahrhunderte der Weg des Menschen war. Der Weg des Kreuzes ist der Weg der Gebundenheit an die Materie des Kreuzes und die Erlösung aus dieser Gebundenheit durch den Tod. Nicht nur zufällig fällt Karfreitag im Jahreszyklus auf den Frühlingsanfang, der Tod und die Starre des Winters liegen hinter uns und das Leben beginnt wieder aufs Neue. Das Alte und Starre ist die Gebundenheit an die Materie, an Worte, an Riten, an akademische Vorschriften, gelehrte Bücher, Unterwerfung unter administrative Obrigkeiten, Todesdrohung für Abweichungen von der geschriebenen Lehre, Erstarrung in altem Brauchtum, - welche Unterwerfung unter Besitz, Worte und Materie, welche Hybris des Menschen zu glauben er sei im Besitz der Wahrheit, wenn er nur im Besitz von Worten und Gebräuchen ist und diese als unumstössliche Wahrheiten sieht. Er ist dem Ewigen ferner denn je.
Und die wenigen Worte, die grosse Lehrer der Menscheit geäussert haben, ein Jesus, ein Buddha, ein Laotse, die Lösung von Materie, das Erwachen des Geistes, die Erlösung aus der Illusion der Welt, die Erleuchtung durch das Leben selbst – wurden diese Worte jemals gehört? Es reicht nicht wenn wir gelehrte Bücher schreiben und in Schulen und Universitäten Religionen lehren. Wir müssen uns von den Worten und Lehren befreien, und begreifen dass die ewigen Wahrheiten nur in uns selbst liegen. Wenn wir Karfreitag als den Tod des Alten und den Beginn von etwas Neuem sehen können, das Sterben des Vergänglichen und das Sichtbarwerden des Ewigen, dann haben wir die Botschaft dieses Tages verstanden: Erlösung von der Gebundenheit an Materie, an Worte, an Phantasien des menschlichen Geistes - Öffnung des Menschen, Einlassen von Erkenntnis, Licht und Raum und Leben in seiner grenzenlosen Weite. Welch gewaltiges Symbol , der sterbende Mensch Jesus, an das Kreuz gebunden und zum Tode verurteilt, und seine Transformation in Christus, Symbol des Ewigen. Hat der Mensch in den Jahrtausenden jemals begriffen, dass Religion nicht in Synagogen und Kirchen gelehrt werden kann, dass nicht Schriften und Gelehrte oder alte Bräuche und Zöpfe ihn Gott näher bringen können? Solange wir an den Dingen dieser Welt hängen, uns durch Äusserlichkeiten definieren, solange werden wir durch Leiden daran erinnert, was unsere wirklichen Werte sind. Erst wenn wir alles abwerfen, was für unser Ego so wichtig ist, gelangen wir an den Kern von Allem was ist, und damit zu uns selbst. Es ist der Moment, in dem der Mensch aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit erwacht, die Fesseln des Ego abwirft und sich der Tiefe des Lebens öffnet, die in ihm und in Allem aufleuchtet. Wenn wir Karfreitag nicht als Tag des Leidens und des Todes begreifen, sondern als den Tag des Wandels und Erwachens dann haben wir die Botschaft dieses Tages verstanden, für mich der wichtigste Tag in der Symbolik des Kirchenjahres.

Keine Kommentare: