Freitag, 23. Februar 2024

Von der Kunst des Teetrinkens

Über meine japanische Schwägerin Junko lernte ich eine Meisterin der Teezeremonie kennen. In Japan ist das eine hochangesehene Berufung. Wer gerne Tee trinkt, wie ich, entwickelt seine eigenen Vorstellungen, wie Tee zubereitet werden sollte.  In Japan aber  eröffnet die Teezeremonie noch einmal eine ganz andere Dimension des Teetrinkens. Es beginnt schon damit,  das Material Tee  von seiner ursprünglichen Natur zu befreien und zu Staub zu mahlen. Das Teeblatt  verliert seine eigentliche Erscheinung und tritt in den Hintergrund. Die Substanz bleibt aber erhalten. Dann wird Tee mit Wasser verbunden,  Erde mit der Kraft, die Leben hervorbringt. Und wenn aus der Schale die Aromen des Tees aufsteigen, dann erfahren wir den Geist des Tees.  Für mich entstehen beim Teetrinken Bilder, wie die Natur aus den Elementen entsteht, und Tee als Symbol für die Schöpfung des Lebens  steht. Und wenn die Natur  des Tees dann eingefangen wird in kostbare Gefässe, deren Wert  von der Seele des Schöpfers ausgeht, und wir diese Gefässe in den Händen halten dürfen, dann geht eine Ahnung durch uns, dass wir vielleicht diesen kostbaren Gefässen ähneln, in die etwas Kostbares hineingeflossen ist. -  In Japan nimmt man sich viel Zeit für die Teezeremonie, sie ist ein Zeichen einer hohen Kultur. Manchmal dauert es ein ganzes Leben, um  zu begreifen, dass wir selbst ein kostbare Gefäss sind, in das  unser Leben fliesst. Wenn wir einmal das Geheimnis der Teezeremonie erfasst haben, dann gelingt es uns auch, die wunderbare Substanz des Lebens zu begreifen, die in uns geflossen ist,  und die wir nie genug bewundern und geniessen können. Jeder Schluck Tee bedeutet dann, das Leben in uns fliessen zu fühlen, uns Zeit für das Leben zu nehmen, das Leben als grosses Geschenk der Natur an uns zu begreifen. - Die Ausbildung zur Meisterin der Teezeremonie dauert in Japan viele Monate, oft Jahre.  Wenn sie grosse Meisterinnen sind, dann können sie uns  frei machen von der Erdgebundenheit und uns eine Idee davon geben, dass Tee als ein Symbol für die Geistwerdung von Materie steht. Für unsere westliche Welt ist es schwer begreiflich, sich so viel Zeit für Teetrinken zu nehmen, wir nehmen uns nicht einmal Zeit für unser Leben. Ich wünschte mir, wir hätten auch im Westen Sinn für die Teezeremonie, wir könnten viel  für unser Leben lernen.

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