Freitag, 18. September 2020

Wie Shakespeare mir ein Lebenlang folgte

Schon seit meiner Jugend verfolgt mich das Sonnet 144 von Shakespeare. „Two loves I have of comfort and despair, that like two angels do suggest me still, The better angel is a man right fair, the worser spirit a woman coloured ill. “ In meiner Jugend haben wir noch die Gedichte auswendig gekonnt und ich habe viele Interpreten zu diesem Gedicht gelesen. Erst im Alter erkenne ich, das Shakespeare über die menschliche und göttliche Liebe in uns schreibt. Kein Interpret hat das richtig gedeutet. Die menschliche Liebe ist die Liebe der Sinne, die sich auf den anderen Geschlechtspartner richtet, aus der Sicht des Dichters die Frau, die immer wieder seinen Blick trübt und daher „coloured ill“ ist, dagegen hält er die göttliche Liebe, die er in sich spürt und die er mit einem schönen Engel vergleicht. In dem Sonnet befinden sich die göttliche und die menschliche Liebe ständig im Konflikt und der Dichter weiss nicht, wer am Ende den Sieg davon trägt. - Es ist genau dieser Konflikt, um den es geht, um die Erkenntnis, dass göttliche und menschliche Liebe in uns vorhanden sind, die Engel stehen hier für diese zwei Seiten der menschlichen Seele. In dem Gedicht wird die menschliche Liebe mit einer „dunklen Frau“ verglichen, aus der Sicht des Dichters das andere Geschlecht, das genauso „a man coloured ill“ sein könnte. Ich habe keinen Interpreten Shakespeares gefunden, der die Tiefe dieses Gedichts begriffen hat, dass es nicht um eine „dark lady“ geht, bei der gerätselt wird, welche Frau es wohl sein könnte, sondern um den Konflikt von göttlicher und menschlicher Liebe. Es ist diese tiefe Dimension der Liebe, in der ich im vorhergehenden Essay schrieb.

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