Sonntag, 13. März 2022

Krankheit und Verfall

Wir haben vollständig unsere Verbindung zum Alter, zu Krankheit und Verfall verloren. Mit allen Mitteln versuchen wir das Alter aufzuhalten, natürlich sind wir zum  Scheitern verurteilt.  So wie das Alter werden Krankheiten als ein Übel angesehen, das wir am besten ignorieren, werden an Ärzte, an Kliniken überlassen, so als ob Krankheiten nicht mit uns selbst etwas zu tun hätten, - und  unser eigenes Verfallsdatum, das wir sonst immer im  Supermarkt bei unseren Lebensmitteln sorgfältig prüfen, wird geflissentlich übersehen.  Die Gesellschaft sieht das Alter wie eine Krankheit, am besten werden die Alten versteckt, in dafür eigens geschaffene Heime, damit wir nicht an das Alter erinnert werden - Das hohe Ansehen, das die  Alten in den frühen Zivilisationen genossen haben, ist wie so manches in Vergessenheit geraten. -  Dabei gewinnen wir gerade im Alter  die Zeit, die wir in jungen Jahren nicht hatten,  um uns selbst zu sehen.  Der Tag  bleibt  viel öfter stehen, wir haben mehr Zeit für uns selbst, unser Blick richtet sich mehr nach innen, als nach aussen. Vielleicht erkennen wir erst jetzt,  welches Wunderwerk unserer eigener Körper ist,  und welche Kraft  noch immer, wie am ersten Tag , in uns anwesend ist, und  uns dieses volle Leben geschenkt hat. - Und vielleicht fragen wir uns auch, was es ist, das uns zu dieser Bewunderung fähig macht?  Ist  das unserer Verstand,  oder ist da vielleicht noch etwas  in uns, das sich diese Frage stellt?  Endlich finden wir im Alter die Zeit , um uns solche Fragen zu stellen, denn jetzt können wir die Tage anhalten, die früher wie im Fluge verstrichen sind,  wir sind endlich im Alter bei uns selbst angekommen. Und wenn wir jetzt nicht unser Leben mit sinnlosen Beschäftigungen füllen,  dann können wir  jetzt   unseren Blick nach innen richten,  weg von der Oberfläche, die uns unser ganzes Leben so stark beschäftigt hat, einen Blick in die Tiefe von uns selbst,  in das , was uns die ganzen Jahre begleitet hat, und dessen Dimension  von uns nicht wahrgenommen wurde,  in das was uns erfüllt und uns zu dem macht, was wir sind:  Wir nehmen endlich das  Wunder des Lebens in uns wahr.   Da ist nicht eine andere Person, die wir in der Tiefe von uns selbst erblicken,  wir sind selbst diese Person, die wir unser Leben nennen,  zwei in eins,   unser  physischer und unser geistiger Körper,  der eine ohne den anderen nicht denkbar.  - Vielleicht haben wir als alte Menschen in der Welt unsere Bedeutung verloren, aber wenn wir unsere andere Dimension, unser eigentliches Leben in uns  entdecken, dann fangen wir an, uns innerlich  zu verändern.  Neben den äusserlichen Verfall tritt jetzt eine Qualität der Tiefe, und aus dieser  Tiefe  fängt das Leben an, nach aussen zu treten. Das was immer da war, wird  sichtbarer. Das Leben wird sichtbarer, das was wir wirklich sind.  -  Das ist das wunderbare am Alter, wenn sich das Leben vollendet:  Wir erkennen, dass unser Leben aus der Tiefe des Seins kommt und  ganz in die Welt hinaus strebt, wo wir vergessen, woher wir kommen und sich dann zurück wendet, bis an seinen Ursprung, an seine Quelle. Ein ganzes Leben haben wir gebraucht, an diese Quelle zurückzufinden, erst jetzt sind wir angelangt, dort wo wir schon immer waren. Es ist die Geschichte vom verlorenen Sohn, der in sein Vaterhaus zurückkehrt.


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