Donnerstag, 29. Oktober 2020

Auf den Spuren meiner Mutter

Vor kurzem las ich die Tagebücher meiner Mutter. 1903 geboren, kam sie aus dem Vielvölkerstaat Österreich. Ihr Vater ein österreichischer Gymnasialprofessor in Lemberg. In Lemberg kamen Deutsche, Polen, Ukrainer, Juden und Armenier zusammen und schufen eine der reichsten und tolerantesten Kulturen des damaligen Europas. Wenn wir heute die Bücher von Eugen Roth oder Gregor von Rezzori lesen, bekommen wir eine Vorstellung von der Toleranz und dem Reichtum der Kulturen im damaligen Österreich. Der ukrainischen Sprachfamilie angehörend, wären meine Grosseltern nie auf die Idee gekommen sich als etwas anderes als Österreicher zu empfinden. Aus diesem toleranten Land musste meine Mutter emigrieren als nach dem 1. Weltkrieg das galizische Österreich von Polen besetzt wurde und keine andere Sprache als das Polnische gesprochen werden durfte. Meine Grosseltern blieben in Galizien und wurden 1940 nach Einmarsch der Kommunisten ermordet, weil sie Teil der Intelligenz des Landes waren und jeder Bewohner mit einer höheren Bildung nicht in das Weltbild der Linken passte. Meine Mutter, eine studierte Frau ,wurde zur Immigrantin und Deutschland wurde ihre neue Heimat. Eine bessere Deutsche als sie kann ich mir nicht vorstellen. Aber es gibt keinen Zweifel, ich bin der Sohn einer Immigrantin, mein Bruder Arnim, der berühmteste deutsche Linguist unserer Zeit , ist der Sohn einer Immigrantin, mein Bruder Andreas, ein Diplomat, hat sein Land als Botschafter Deutschlands auf der ganzen Welt vertreten, auch er der Sohn einer Immigrantin. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, wir wären keine Deutschen. Ich schreibe das, weil ich mich als Deutscher für die Deutschen schäme, die ein Hetze gegen die Immigranten führen, eine Hetze, die mich an den Nationalsozialismus erinnert, mit seiner Rassenideologie. In Deutschland sind wir immer ein Vielvölkerstaat gewessen, eine Mischung von allen europäischen Völkern, Germanen, Slawen, Kelten, Romanen. Mein kluger Bruder sagte einmal, es gibt keine Rassen, sondern nur Menschen, die einer Sprachfamilie zugehören. Wenn eine politische Führerin sagt: Wir schaffen das. - dann meint sie – gebt den Immigranten eine Chance sich zu integrieren, unsere Sprache zu lernen und unsere Kultur anzunehmen. Wir waren schon immer auf Immigration angewiesen und werden es auch weiter bleiben. Ich jedenfalls bin stolz darauf der Sohn einer Immigrantin und ein deutschsprachiger Angehöriger der grossen europäischen Familie zu sein. Gemeinsam mit den Menschen, die zu uns kommen, um sich ein neues Leben aufzubauen, können wir eine reiche und vielseitige Kultur im Herzen Europas schaffen.

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