Donnerstag, 21. Januar 2021

Was machen unsere Alten?

In alten Kulturen wurden die Alten hochgeehrt, die Frauen und die Männer. In China war das Oberhaupt der Familie immer ein alter Mensch. Auf den Hausaltären wurden die Ahnen geehrt. Der Begriff des Lebens scheint viel präsenter gewesen zu sein als heute. Leben, das nicht mit dem physischen Tod des Menschen endet, Leben das nicht den Gesetzen von Geburt und Tod unterworfen ist. Leben, das sich nicht nur in den Nachkommen fortsetzt, sondern das ewig präsent ist, in uns und um uns, auch das Leben, das sich in unseren Ahnen offenbart hat. - Heute scheint Alter mit Makel behaftet zu sein. Die Alten werden in Altenheimen versteckt, abgeschoben aus dem Leben der Jungen. Gelegentlich finden noch Pflichtbesuche statt. Selbst in der Pandemie wurden Stimmen laut, ob es sich lohne Betten für die Alten zur Verfügung zu stellen. Was hat sich in unserer Kultur verändert? Haben die jungen Menschen vergessen, dass sie nicht ewig jung und cool sind, sind Hedonismus, Egoismus, Äusserlichkeiten so dominant geworden, dass alles was nicht in dieses Bild passt in eine dunkle Ecke geschoben wird? - Vielleicht haben die alt gewordenen Menschen ihr Schicksal selbst verursacht ? Haben sie sich selbst nur in Äusserlichkeiten gefunden, in Beruf, Zeitvertreib, Wohlergehen? Die wenige Zeit die ihnen zur Verfügung stand nicht genutzt, kein Buch gelesen, nie meditiert, nicht kommuniziert, sind am Leben vorbei gegangen, das Leben in sich nicht gesehen? Plötzlich waren sie alt, keiner interessierte sich mehr für sie, denn sie hatten vergessen für andere Menschen da zu sein, sie hatten vergessen zu geben, statt immer nur zu fordern und zu nehmen. Das Bild, das sie sich von sich selbst in ihrem Kopf geschaffen hatten, brach plötzlich zusammen, keiner interessierte sich mehr für sie, sie waren gestorben, bevor der Tod sie ereilte. - Wir werden alle in die Fülle und den Reichtum des Lebens geboren. Es ist das Leben der unbeschränkten Möglichkeiten. Wenn wir diese Möglichkeiten nutzen, nehmen wir am Reichtum des Lebens teil und uns wird unendlich viel gegeben. Das Leben verlangt aber von uns, dass wir in gleicher Weise zurückgeben, was wir erhalten. Wenn wir nicht zurückgeben, gerät die Waage des Lebens aus dem Gleichgewicht. Und vielleicht hat das Schicksal so vieler alter Menschen mit diesem Ungleichgewicht ihres Lebens zu tun. - Ich wünschte mir, dass wir im Alter klug, weise und geläutert wären. Beruf, Erfolg und Selbstdarstellung haben keine Bedeutung mehr. Es ist nie zu spät. Wir können jetzt alles das ablegen, was für das Leben nicht nötig ist. Wir finden jetzt Zeit, uns dem zu widmen, was unser Leben wirklich ausmacht, das Leben hinter dem Leben, das was unsere Existenz erst möglich machte. Wir haben jetzt endlich Zeit am Reichtum des Lebens teilzunehmen, für den einen vielleicht am Reichtum der Natur, oder am Reichtum von Kunst, Musik und Literatur, oder aber auch nur am Leben in sich selbst, an den ungeheuren Weiten, die sich öffnen, wenn wir uns selbst betreten. Es wäre dann nicht wichtig, wo wir lebten, in der Familie, wie in alten Zeiten, in den Heimen, Gefängnissen dieser Welt oder im eigenen Zuhause, - der Reichtum des Lebens würde uns begleiten, wo immer wir uns auch befinden. Am Leben teilnehmen heisst zu erkennen, wer wir wirklich sind: Ein vergänglicher Teil der Schöpfung und ein unvergänglicher Teil dessen was die Schöpfung erschaffen hat, das was wir die Totalität, das Ganze, das Nichtbegreifbare, ja Gott nennen. Das Alter ist ein Privileg, wir sollten es weise nutzen.

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