Die Nachkriegszeit ist schon Teil meiner bewussten
Erinnerungen. Die davorliegende Zeit
kenne ich nur aus den Erzählungen der Eltern. Die Eltern trafen sich, auf
getrennten Wegen, 1945 wieder in Reinbek
bei Hamburg, der westlichen Besatzungszone. Sie wurden dort in einer Flüchtlingswohnung
untergebracht. Meiner Mutter gelang es bald wieder als Journalisten zu arbeiten,
beim Hamburger Abendblatt. Zwei Kindermädchen machten das möglich. Unser Vater arbeitete bis 1950 bei der Deutschen
Presseagentur. Die Nachkriegsjahre waren die schwierigsten Jahre, weil die
Lebensmittelkarten nicht reichten und nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung stand.
Immerhin gelang es, vor allem meiner Mutter, so viel Nahrung zu beschaffen,
dass wir nicht verhungerten. Ein kleiner Gemüsegarten, den sie angepachtet
hatten, half dabei sehr. Ihre beiden, in
der Ostzone, zurückgelassenen Kinder, meinen Bruder Arnim und mich, holte sie
einzeln, unter Lebensgefahr, schwarz über die Zonengrenze, auch in den Westen.
- Erst 1950 änderte sich unser Leben, mit der Berufung des Vaters als Konsul nach
Mailand. Es war wahrscheinlich ein neuer Lebensabschnitt für unsere Mutter, jetzt
nur noch als Ehefrau für die Familie da zu sein. Die Zeit in Mailand brachten
Ruhe in unser Leben, die Schrecken des Krieges und der Mangel der
Nachkriegszeit fielen von uns ab. Auch in unserer Mutter konnte man den neuen Frieden merken, sie war zum ersten Mal
nicht mehr für das Überleben der Familie verantwortlich, sondern konnte sich
ganz der Familie widmen. Sie vermisste noch ihren Beruf, aber die Hinwendung zu ihrer Familie tat
nicht nur ihr gut, sondern uns allen. Ihr Leben war in ruhiges Fahrwasser geraten,
das bis zum Tod ihres Mannes nach der
Pensionierung andauerte. Ab 1950 hatte sie sich entschlossen ihr Leben ganz der
Familie zu widmen, auch wenn ihr immer eine leichte Trauer in den Gedanken an ihre Berufszeit anhaftete.
Sie kümmerte sich um uns alle, um die Familien ihrer Kinder, die
Enkelkinder. Den zunehmenden Verlust
ihrer Hörfähigkeit nahm sie gelassen hin. Sie hörte nur noch, was sie hören
wollte. Nach dem Tod ihres Mannes lebte sie noch mehr als 10 Jahre allein, sehr
belesen, sehr interessiert an den Dingen der Welt, aber auch immer mehr der transzenten
Seite unseres Menschseins zugewandt. Sie konnte auf ein reiches und erfülltes
Leben zurückblicken. Ich hatte das Privileg
die letzten Tage in Teneriffa mit ihr und meiner Familie zusammen zu sein. Als
wir merkten, dass eine Magenverstimmung
sie immer mehr schwächte, brachte ich sie in das Krankenhaus nach Sta
Cruz. Ich sehe sie noch heute, wie sie am Tropf in ihrem Bett mich bei unserem Abschied ansah. Sie wusste, dass
sie sterben würde, ich wusste es nicht. Sie starb noch in der gleichen Nacht an
Herzversagen. Ich habe ihren letzten Blick nie vergessen.
Dienstag, 2. Mai 2023
Die Mutter 2
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